Der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) gehört zu den Nachtfaltern (Lepidoptera), zur Familie der Zahnspinner. Er hat eine große Ähnlichkeit mit dem Kiefern-/Pinienprozessionsspinner (Thaumetopoea pinivora). Der adulte Falter fliegt zwischen Juli und September.
Der Eichenprozessionsspinner kommt vor allem in Süd- und Mitteleuropa vor, zieht jedoch durch die Klimaerwärmung mittlerweile auch in den Nordwesten Europas, überall dorthin, wo Wälder mit starkem Eichenvorkommen zu finden sind. Es können jedoch auch Einzelbäume an Straßenrändern, in Parks oder im städtischen Bereich betroffen sein. In starken Befallsjahren sind neben den Eichen besonders die Hainbuchen von diesen Schädlingen betroffen.
Neben der potentiellen Gefahr für Mensch und Tier ist natürlich auch der Schaden im Wald nicht zu vernachlässigen. Ein einmaliger Raupenfraß hat keine längerfristigen negativen Folgen, wiederholter starker Befall und Kahlfraß kann die Eichen für sekundäre Schädlinge anfälliger machen und bis zum Absterben führen.
Problematisch sind die Larven (engl. caterpillar) des Eichenprozessionsspinners, die als Verteidigungsmechanismus mit Brennhaaren (Setae) bedeckt und reich an Thaumetopoein sind. Diese, aber auch die adulten Tiere (engl. processionary moths) lösen den Lepidopterismus aus. Lepidopterismus ist eine toxisch-irritative Reaktion (caterpillar dermatitis), verursacht durch Prozessionsspinner.
Der weibliche Eichenprozessionsspinner legt an an den dünnen Zweigen der Krone älterer Eichen 100 – 200 Eier ab. Bis zum Herbst entwickelt sich im Ei eine Jungraupe, die in dieser Form überwintert (kann Temperaturen bis zu minus 30 C ° überleben). Die Raupen werden bis zu 5 cm lang und sind an ihrer dunklen, breiten Rückenlinie, der samtartigen Behaarung und den langbehaarten Warzen zu erkennen. Sie leben in Gruppen von 20 – 30 Tieren und treten typischerweise im „Gänsemarsch“ auf, wenn sie sich nachts auf Nahrungssuche befinden oder sie sich verpuppen wollen, woher auch der Name „Prozessions“spinner kommt. Diese namensgebende Prozession kann bis zu 10 Meter lang sein. In den Raupennestern (Gespinsten), die am Stamm oder den starken Ästen der Eiche gebaut werden, kommt es zur Häutung und sie dienen als Rückzugsort. Ein Nest kann viele Hunderte oder sogar Tausende Larven enthalten. Ab dem dritten Stadium der insgesamt 5 – 6 Entwicklungsstadien entwickeln die Larven Brennhaare mit Widerhaken (Setae), die auch das Nesselgift, das Thaumetopoein, enthalten. Die Anzahl und Länge der Brennhaare nimmt mit jeder Häutung der Raupen weiter zu. Sehr viele Haare verlieren sie während der Fraßzeit im Mai und im Juni. Wenn ein Spinner gestört wird, setzt er als Verteidigung seine Setae in die Umgebung frei.
Alle Stadien haben natürliche Feinde (Vögel, Fledermäuse, Ameisen, Käfer und Pilze, Bakterien, Viren und Parasiten/Parasitoide). (Anm.: Als Parasitoid wird ein Organismus, in der Regel ein Insekt, bezeichnet, der in seiner Entwicklung parasitisch lebt, den Wirt zum Abschluss der Parasitierung jedoch tötet (Wikipedia)). Zu den natürlichen Feinden zählen außerdem auch Wanzen, Schlupfwespen und eben Vögel wie der Kuckuck oder der Pirol. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass die Raupen z.B. dem Kuckuck mit ihrem Gift nicht schaden können, da er seine Magenschleimhaut mit den darin festsitzenden Brennhaaren herauswürgen kann. Trotz der Vielzahl an Feinden ist die Effektivität dieser, um Vorkommen zu verhindern, limitiert.
Die Raupen ernähren sich von den Blättern des Wirtsbaums, wobei sie die gesamten Blätter außer die Rippen auffressen. So kann es bei mehrjährigem starkem Auftreten auch zur Schädigung des Baums kommen. Wenn ein Baum „entblättert“ ist, verlassen die Larven nachts das Nest und kriechen in einer langen Prozession zu einem neuen Wirtsbaum, wo ein neues Nest gebaut wird. Ein einziger Baum kann zwischen 10.000 und 100.000 Prozessionsspinner beherbergen.
Zur Bekämpfung des Schädlings kommt es insbesondere in der Nähe menschlicher Siedlungen. Es werden Maßnahmen wie Behandlung mit Insektiziden, Absammeln, Abflammen, chemische Bindemittel, Absaugen oder Aufbringen des Bakteriums Bacillus thuringiensis durchgeführt. Biologische Kontrolle wird auch mit Insekten, die Eier parasitieren, Käfern und mikrobiologischer Kontrolle durchgeführt. Generell unterscheidet man organisatorische (Wälder sperren), mechanische (siehe oben: Absammeln etc.) und chemische Maßnahmen, die jedoch nur während der ersten beiden Larvenstadien sinnvoll sind.
Die Brennhaare der Raupe brechen leicht ab und werden dann mit dem Wind oft über weite Strecken getragen. In den Gespinsten bleiben die alten Larvenhäute, weshalb die Konzentration der Brennhaare dort oft besonders hoch ist. Da die Raupenhaare lange haltbar sind, kommt es in den betroffenen Gebieten zu einer Akkumulation am Boden über Jahre hinweg.
Für Mensch und Tier sind besonders die Haare des dritten Larvenstadiums, in den Monaten Mai und Juni, gefährlich. Durch die Widerhaken haften sie an Kleidern, im Fell und durch die Berührung kommt es zu toxischen Reaktionen. Die beinahe unsichtbaren Brennhaare können in die Haut und in die Schleimhaut eindringen und sich dort mit den Häkchen festsetzen. Thaumetopoein ist ein Protein, das zu einer IgE-unabhängigen Degranulation der Mastzellen führt und so einen irritativen Effekt bei Mensch und Tier hervorruft. Dies führt zur Raupendermatitis, die sich beim Menschen als Urtikaria, toxische Dermatitis oder als juckende Papeln äußern kann. Es handelt sich meist um eine toxisch-irritative, selten um eine allergische Reaktion, dennoch wurde auch eine IgE-mediierte allergische Hypersensitivität beschrieben, die z.B. zur Anaphylaxie führen kann. Besonders bei unbedeckten Hautarealen kommt es zu den Hautveränderungen, Augenprobleme kommen vor und beim Einatmen der Haare können auch Lungensymptome beobachtet werden. Die wichtigsten Maßnahmen sind die Vermeidung betroffener Gebiete, der Schutz der Haut durch Kleidung, das Duschen nach möglichem Kontakt und die symptomatische Therapie.
Die Hauptsymptome beim Hund sind lokale Veränderungen im Maul (Glossitis, Zungenödem und -nekrose, linguale und sublinguale Ulcera). Ptyalismus, Dysphagie und Schmerzen traten bei 100 % der 41 beschriebenen Hunde auf und auch im Bereich der Augen kam es zu Symtpomen (Konjunktivitis, Keratitis, Blepharitis, Korneaulzeration). Die Akkumulation von Antigen-Antikörper-Komplexen führt zur Bildung von Mikrothromben, die die Mikrozirkulation blockieren und somit zu Gewebsnekrosen führen. Daher sollte bei unerklärbaren Nekrosen die Differentialdiagnose des Kontakts mit Eichenprozessionsspinnern immer auf der Liste stehen. Submandibulare Ödeme, Gesichtsjuckreiz und Erbrechen werden ebenfalls berichtet. Bei einer Gruppe von 21 Hunden kam es neben den oben erwähnten Symptomen auch zu Lymphadenopathie, Tachypnoe, Tachykardie, Hyperthermie und Gesichtsödem. Auch zu einer Rhinitis, einem laryngealem Ödem oder sogar zu Lungensymptomatik kann es kommen, wenn Haare aspiriert werden. Seltener werden systemische Symptomen im Sinne einer anaphylaktischen Reaktion ausgelöst.
Das generelle Management ist ausschließlich symptomatisch und unterstützend. Es besteht aus der Elimination der Brennhaare und Kontrolle der Symptome. Daher ist die unmittelbarste Therapie, dass so schnell wie möglich nach Kontakt das Toxin und die Haare von der Haut entfernt werden. Eine Badetherapie bzw. Spülung mit NaCl oder nur Wasser wird empfohlen. Diskutiert wird auch über die Temperatur der Lösung, da Hitze das Toxin inaktiviert. Die Waschung sollte innerhalb der ersten zwei Stunden nach Kontakt stattfinden. Danach steigt das Risiko für eine Nekrose erheblich. Es wird die Administration von Glucocorticoiden bzw. Antihistaminika empfohlen. In einer Studie wurde auch die Verwendung von Metronidazol und/oder Enrofloxacin beschrieben. Generell wird beim Vorliegen einer Nekrose die Verabreichung eines Antibiotikums empfohlen. Zur Schmerzkontrolle werden Analgetika eingesetzt. Bei Niza et al. benötigten die Hunde, die keine Nekrose zeigten, 5 – 12 Stunden zur Abheilung, die Tiere mit fokaler oberflächlicher Nekrose der Zunge 3 – 5 Tage und bei großflächiger Nekrose bis zu 15 Tage. Alle Hunde mit hochgradiger Nekrose verloren einen Teil ihrer Zunge und benötigten teilweise chirurgische Sanierung. Interessanterweise war der Großteil der Hunde in der Studie < 1 Jahr alt, was damit zu tun haben dürfte, dass junge Hunde generell neugieriger sind.
In der Humanmedizin wird 2%iges Lidocain auf der Läsion verwendet.
Fazit:
Bei Hunden mit unspezifischen Symptomen wie Glossitis, Nekrose der Zunge, Speicheln, Augenentzündungen, respiratorischen Symptomen, Urtikaria, Juckreiz und einer Anamnese von einem Aufenthalt in einem Eichenwald bzw. Gebiet mit Eichenvorkommen sollte differentialdiagnostisch an den Eichenprozessionsspinner gedacht werden. Je nach klimatischer Region gibt es Hauptzeiten; da sich die Brennhaare jedoch jahrelang halten, ist die potentielle Gefahr in betroffenen Gebieten generell gegeben. Die absolute Sofortmaßnahme bei einem Befall ist die „Dekontamination“ des Tieres und sollte innerhalb der ersten zwei Stunden erfolgen.
Dr. Regina Wagner
Literatur: