Anamnese
Horsti ist ein kastrierter Terrier-Mischlingsrüde, der im Alter von ca. 4 Jahren mit unklarer Vorgeschichte als Notfall von einem Tierschutzverein übernommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt zeigte er einen minderguten Ernährungszustand, mittelgradig gerötete Konjunktiven, mukösen Augenausfluss und hochgradigen Juckreiz (Abb. 1). Der neue Besitzer berichtete außerdem von breiigem Kotabsatz mehrmals täglich.
Dermatologische Untersuchung
In der dermatologischen Untersuchung war eine Alopezie/Hypotrichose an Nase und Hals, Vorderbrust und Achseln, Bauch, Innenschenkeln und am Schwanz zu erkennen. Die Haut war v.a. in den Achseln und den Leisten hyperpigmentiert. Das Haarkleid war stumpf und schuppig.
Laboruntersuchungen
Die eingeleitete blutchemische Untersuchung war unauffällig, das Blutbild zeigte eine milde Anämie und eine deutliche Eosinophilie von 2,5 G/l (Referenzbereich 0,04 – 0,6 G/l). Der Sarkoptes-Antikörper-Titer war negativ. Da der Juckreiz und die Hautveränderungen in Kombination mit dem pathologischen Kotabsatz stark auf das Vorliegen einer Futtermittelallergie hindeuten, wurde noch ein Futtermittelallergietest durchgeführt.
Epikrise
Allergietests dienen nicht dazu, Allergien zu diagnostizieren – eine Allergie ist immer eine klinische Diagnose. Sie wird bei Patienten mit den typischen klinischen Symptomen (primärer Juckreiz und in weiterer Folge Erythem, Alopezie, Sekundärinfektionen, …) nach dem Ausschluss anderer juckender Erkrankungen gestellt. Die Allergietests, die besser Allergentests genannt werden sollten, helfen bei der Identifizierung der Allergene, welche die Allergie auslösen, indem allergenspezifische Antikörper gemessen werden. Bei der Aufarbeitung einer vermuteten Futtermittelallergie vereinfachen die Tests die Auswahl der Zutaten für die Eliminationsdiät, durch welche die Diagnose dann gestellt oder ausgeschlossen wird. Es werden für die 8 – 12 Wochen andauernde strenge Eliminationsdiät eine Protein- und eine Kohlehydratquelle ausgesucht, auf die weder im Bereich der IgE- noch der IgG-Antikörper eine positive Reaktion vorliegt. Horsti zeigte sowohl im allgemeinen als auch im erweiterten Futtermittelallergietest zahlreiche positive Reaktionen. Ente war das einzige Protein, das bei IgE und IgG die Reaktionsklasse null (RK 0) aufwies. Daher wurde die Eliminationsdiät mit einer hochwertigen Single- Protein-Diät auf Entenbasis gestartet. Innerhalb weniger Wochen zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Symptome, der Juckreiz verschwand vollkommen, das Fell wurde dichter und seidig und auch der Kotabsatz normalisierte sich. Nach 4 Monaten war Horsti zur Freude der Besitzer wie ein neuer Hund. Im Frühjahr darauf begann Horsti, sich wieder häufiger zu kratzen. Die Haut war jedoch immer unverändert und der Juckreiz wurde vom Besitzer als nicht behandlungswürdig eingestuft. Bäder mit hautpflegendem Shampoo (Douxo® Calm, Wirkstoffe u.a.: Ophytrium, Panthenol, Pentavitin, Vit PP, Jojoba-Extrakte) brachten vorübergehend immer wieder Erleichterung, außerdem legte sich das vermehrte Kratzen im Herbst und Winter wieder. Über die nächsten Jahre wurde der saisonale Juckreiz immer heftiger und schließlich stoppte er auch im Winter nicht. Um abzuklären, ob Horsti möglicherweise sein entenbasiertes Futter nicht mehr verträgt, wurde ein Wechsel zu einer anderen Single-Protein-Diät versucht. Innerhalb von 2 Tagen entwickelte Horsti massiven Juckreiz im linken Ohr, die Haut war gerötet und es war reichlich bräunliches, bröckeliges Zerumen vorhanden, das nach Hefe roch. Die zytologische Untersuchung des Ohrtupfer- Abstrichpräparates zeigte massenhaft Sprosspilze der Gattung Malassezia (Abb. 2). Die Fütterung wurde sofort wieder auf Ente umgestellt, die Malassezien-Otitis zusätzlich mit 2x täglicher gründlicher Reinigung des Gehörganges mit einem Ohrreiniger ( Epiotic®) behandelt. Da der Diätwechsel nur eine Verschlechterung der Situation brachte und der massive Juckreiz durch Shampoo-Therapie und Hautbarriereunterstützung absolut nicht mehr in den Griff zu bekommen war, wurde schließlich Blut für einen serologischen Allergietest auf Umweltallergene entnommen. Die klinische Entwicklung von Horsti wies stark darauf hin, dass er nicht nur Futtermittelallergiker, sondern auch Atopiker ist. Nach der Blutabnahme wurden Horsti Prednisolon- Tabletten in entzündungshemmender Dosierung verabreicht. Es zeigte sich nur eine geringgradige Verbesserung des Juckreizes, nach wenigen Tagen entwickelte Horsti zusätzlich zahlreiche gerötete, schuppende und teilweise verkrustete, alopezische Läsionen an der Vorderbrust, ventral am Thorax und Abdomen (Abb. 3).
Es wurden Abklatschpräparate der Läsionen, die teilweise nässten, und von der Unterseite der Krusten angefertigt und zytologisch beurteilt. Mikroskopisch waren massenhaft neutrophile Granulozyten und einige extra- und intrazelluläre Kokken nachweisbar (Abb. 4). Es konnte eine Pyodermie diagnostiziert werden, eine häufige Sekundärinfektion bei Allergikern. Die Therapie erfolgte multimodal mit einem Shampoo, das nicht nur antibakteriell wirkt, sondern auch hautpflegende Substanzen enthält (Douxo® Pyo, Wirkstoffe: Phytosphingosin, Chlorhexidin 3%, Climbazol 0,5%, Lipacide C8G) und mit Allerderm® Spot-on (Skin Lipid Complex™, Glycotechnology, Defensin Technology) zur Unterstützung der Hautbarrierefunktion. An den veränderten Hautstellen wurde 2x täglich Peptivet® Schaum (Wirkstoffe u.a. AMP2041, Chlorhexidindiglukonat max 0,07%, Tris-EDTA) einmassiert und zusätzlich wurde zur Juckreiztherapie Cytopoint® (Lokivetmab) statt des unzureichend wirkenden Prednisolons eingesetzt. Die Pyodermie heilte im Laufe weniger Wochen ab, auch der Juckreiz verbesserte sich, verschwand aber nicht vollständig.
Im Allergietest auf Umweltallergene reagierte Horsti auf Birke, Hasel, Beifuß, Ragweed und Dermatophagoides farinae positiv – ein Ergebnis, das sehr gut zu seiner Klinik saisonal verstärkten Juckreizes passt. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits 9 Jahre alt war, wurde nach Abheilung der Pyodermie die Allergen-spezifische Immuntherapie (= ASIT oder Hyposensibilisierung) gestartet.
Eine ASIT ist die einzige kausale Therapie der atopischen Dermatitis, indem sie Einfluss auf den Pathomechanismus der Allergie nimmt. Doch wie sieht dieser genau aus, wie entwickelt sich eigentlich eine Allergie? Allergische Reaktionen entstehen, wenn das Immunsystem Oberflächenantigene (Allergene) vollkommen harmloser Strukturen wie Pollen, Milben oder Futtermittel als Pathogene einstuft und diese in der Folge bekämpft. Allergene dringen durch die Hautbarriere ein und lösen so eine Sensibilisierung aus. Anschließend werden Entzündungszellen aktiviert, Entzündungsmediatoren ausgeschüttet und Mastzellen degranulieren unter dem Einfluss von IgE. Patienten, die an atopischer Dermatitis leiden, zeigen auch einen veränderten Aufbau der Hautstruktur, der die Barrierefunktion der Haut beeinträchtigt. Ob diese Störung der Hautbarrierefunktion eine Folge der Dermatitis ist oder ob sie einen prädisponierenden Faktor für die Entstehung der Atopie darstellt, weil dadurch das Eindringen von Allergenen in die Haut erleichtert ist, ist zurzeit noch ungeklärt. Das Verständnis dieses Pathomechanismus veranschaulicht jedenfalls, wie wichtig die Unterstützung der Hautbarriere funktion ist und welche große Bedeutung die ASIT im therapeutischen Management hat. Die Wirkungsweise der ASIT beruht darauf, dem irregeleiteten Immunsystem nach und nach beizubringen, dass die harmlosen Allergene nicht pathogen sind. Es soll eine Aktivierung der regulatorischen T-Zellen und immunsuppressiver Zytokine und in weiterer Folge eine Verbesserung der klinischen Symptomatik eintreten. Dies wird durch die Verabreichung von zunächst ganz kleinen Mengen der positiv getesteten Allergene mit stetig steigender Dosierung erreicht. In der klassischen ASIT-Lösung (Abb. 5) zur subkutanen Anwendung sind die natürlichen Allergene enthalten, auf die der individuelle Patient positiv getestet wurde und die mit Anamnese und Klinik korrelieren. Diese werden in einem aufwendigen Prozess, der sehr strengen Qualitätskontrollen unterliegt, aufgereinigt und nach einer Quarantäne nochmals kontrolliert, um eine injizierbare Lösung herzustellen. Daher dauert die Produktion der ASIT 2 bis 3 Wochen. Die nach Anbruch gekühlt zu lagernden Injektionsfläschchen können für wenige Tage ungekühlt transportiert/gelagert werden, die Umgebungstemperatur darf allerdings 37°C nicht überschreiten. Für den Versand in die Praxis wird dem Paket daher in den Sommermonaten ein Temperaturindikator beigelegt, der sich bei zu hoher Lagerungstemperatur schwarz färbt (Abb. 6 B).
Ist der Temperaturindikator zum Zeitpunkt der Anlieferung schwarz, darf die ASIT nicht mehr verwendet werden. Zur Dokumentation sollte zeitnah ein Foto der Indikatorkarte gemacht und die Lösung bei Laboklin reklamiert werden. Es wird in solchen Fällen natürlich sofort eine neue ASIT-Lösung bestellt, die nicht mehr verwendbare Packung muss an Laboklin retourniert werden.
Zurück zu unserem Patienten: Bei Horsti wurde die ASIT im Herbst gestartet, was bei allen saisonalen oder saisonal verstärkten Allergikern zu empfehlen ist, weil es ohne oder bei nur milder klinischer Symptomatik kaum zu Nebenwirkungen durch die Injektionen kommt. Zu Beginn wurde Horsti aufgrund des nach wie vor vorhandenen Juckreizes zusätzlich symptomatisch behandelt. Ihm wurde noch 2x Cytopoint ® injiziert, er wurde weiterhin 2x pro Woche mit Shampoos (abwechselnd Douxo® Pyo und Douxo® Calm) und 1x wöchentlich mit Allerderm® Spot-on therapiert. Er war allerdings trotzdem nicht völlig symptomfrei, was in der Einleitungsphase der ASIT sogar von Vorteil ist. Wird der Juckreiz nämlich vollständig unterdrückt, kann weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung der Klinik erkannt werden. Besonders im Fall einer Symptomverschlechterung unmittelbar nach der Injektion ist es aber von Bedeutung, rasch in Form einer individuellen Adaptierung des Therapieschemas der ASIT zu reagieren. Horsti zeigte keine Nebenwirkungen, nach 2 Monaten war bereits eine deutliche Verbesserung zu erkennen und die juckreizstillende Therapie wurde beendet. Er wurde aber weiterhin regelmäßig mit Douxo® Calm (Shampoo und Mousse) sowie Allerderm® Spot-on therapiert. Fünf Monate nach Beginn der ASIT war Horsti symptomfrei. Im Laufe der Jahre zeigte er immer wieder vor – allem im Frühjahr und Spätsommer – Phasen mit geringgradig verstärktem Juckreiz, der symptomatisch (wie oben beschrieben) gelindert wurde. Horstis Fall veranschaulicht sehr gut, wie wertvoll die ASIT als Teil des Allergie-Managements ist, selbst bei einem Patienten, der schon beinahe 10 Jahre alt ist und bereits seit einigen Jahren an der Allergie leidet.
Dr. Maria Christian