Bei der nicht-entzündlichen Alopezie handelt es sich klinisch um das Fehlen von Haaren an einer bestimmten Körperstelle ohne das Vorliegen anderer Hautläsionen.
Es gibt verschiedene Auslöser der nicht-entzündlichen Alopezie:
- Unterbrechung des Haarzyklus: bei endokrinen Erkrankungen, anagenes und telogenes Effluvium und postclipping Es kommt in der Regel zu partieller oder kompletter Alopezie mit fokaler, regionaler, symmetrischer oder generalisierter Verteilung.
- Angeborene oder erworbene Gendefekte: kongenitale Alopezie, follikuläre Dysplasien und Dystrophien, Alopezie X, Schablonenkrankheit (pattern baldness). Sie äußern sich durch partielle oder komplette Alopezie mit regionaler oder generalisierter Verteilung.
- Entzündlicher Ursprung, aber klinisch adspektorisch nicht entzündlich: Alopecia areata, Tollwutimpfstoff- oder Postinjektionspannikulitis, vernarbende Alopezie, Führt in der Regel zu fokaler oder multifokaler kompletter Alopezie.
Alopezie aufgrund einer Unterbrechung des Haarzyklus
Haare werden in der Anagenphase des Haarzyklus gebildet. Die Telogenphase ist eine Ruhephase, in der das Haar im Haarfollikel verbleibt, bis der Follikel in die Anagenphase eintritt und ein neues Haar, welches das „alte“ Haar verdrängt, wächst, was zu Haarausfall führt (altes Haar wird durch neues Haar ersetzt). Wird der Haarzyklus nicht aktiviert, fallen die alten Haare mit der Zeit aus, was zu einer Alopezie führt.
Post-clipping Alopezie: Sie tritt bei Plüschhundrassen (z. B. nordische Rassen) auf, deren Haarzyklus eine sehr lange Katagen- und Telogenphase hat, nach denen sich die Anagenphase um bis zu ein Jahr verzögern kann. Wenn die Rasur während der Inaktivitätsphase der Haarfollikel erfolgt, kann sich das Haarwachstum um Monate verzögern. Eine Biopsie bestätigt die Diagnose, indem sie andere Prozesse ausschließt.
Endokrine Erkrankungen: Ein Mangel oder Überschuss an bestimmten Hormonen hemmt oder verhindert die Aktivierung der Anagenphase.
Die ersten dermatologischen Anzeichen sind trockene, glanzlose, verfärbte Haare, die leicht ausfallen, sodass es zu einer fortschreitenden Alopezie kommt. Diese beginnt an Stellen, die vermehrt Reibung ausgesetzt sind, wie Nacken, Druckstellen, Flanken oder Oberschenkel und breitet sich dann auf andere Rumpfbereiche aus. Der Kopf oder die Gliedmaßen sind in der Regel nicht betroffen (Abb. 3). Die Haut ist im Allgemeinen hyperpigmentiert. Komedonen, Seborrhoe und Sekundärinfektionen kommen häufig vor.
Das Ergebnis einer Biopsie kann auf eine Endokrinopathie hindeuten, aber nicht zwischen den verschiedenen endokrinen Erkrankungen differenzieren.
Auch wenn sich diese Krankheiten zunächst als dermatologische Probleme manifestieren können, betreffen sie zahlreiche Organe oder Organsysteme. Bleiben sie unbehandelt, können sie schwerwiegende Folgen haben, weshalb eine korrekte Diagnose wichtig ist.
Hypothyreose
Die Hypothyreose ist die häufigste endokrine Erkrankung des Hundes. Schilddrüsenhormone sind für die Aktivierung des Haarfollikelzyklus erforderlich. Neben der für endokrine Erkrankungen charakteristischen Alopezie wurden auch Haarausfall am Schwanz („rat tail“) sowie Alopezie am Nasenrücken beschrieben. Die Anhäufung von Glykosaminoglykanen in der Dermis kann zur Entwicklung eines Myxödems und zum “tragischen” Gesichtsausdruck der betroffenen Hunde führen. Häufige Sekundärinfektionen werden mit einer gestörten Funktion der Hautbarriere und des Immunsystems in Verbindung gebracht.
Neben dermatologischen Symptomen können allgemeine klinische Symptome, kardiovaskuläre, okuläre, reproduktive und gastrointestinale Symptome sowie muskuläre und periphere Neuropathien auftreten. Häufige Laborveränderungen sind normozytäre und normochrome Anämie, Neutropenie, Thrombozytopenie, Hypercholesterinämie und Hypertriglyceridämie.
In niedriger Schilddrüsenhormonspiegel (T4) ist bei anderweitig erkrankten Tieren sehr häufig und kann zu Diagnosefehlern führen. Die Diagnose sollte zumindest auf der Messung von T4 und TSH zusammen beruhen. In komplexen Fällen können komplette Panels wie das Schilddrüsenprofil Hund, einschließlich T4, fT4, T3, fT3, TSH, ATG, T4-AK, T3-AK und/oder der TRH-Stimulationstest erforderlich sein.
Hyperadrenokortizismus (HAC)
Ein Hyperadrenokortizismus kann spontan (in Verbindung mit hypophysären Mikro- oder Makroadenomen oder Neoplasien der Nebenniere) oder iatrogen auftreten.
Hohe Glukokortikoidspiegel lähmen den Haarfollikelzyklus, verursachen eine Atrophie der Adnexe, hemmen die Fibroblastenproliferation und führen zu Veränderungen der Verhornung. In 90 % der Fälle kommt es zu kutanen Manifestationen: Alopezie, Hautatrophie, Komedonen, schlechte Heilung, Dehnung von Narben, Abschuppung, Xerose und Neigung zu Sekundärinfektionen (Abb. 4). Calcinosis cutis ist nicht sehr häufig, aber eine sehr charakteristische Läsion bei einem Hyperadrenokortizismus.
Andere klinische Anzeichen sind: Polydipsie/Polyurie, Polyphagie, abdominale Dilatation („pot-belly”), Hepatomegalie, Muskelatrophie, Belastungsintoleranz, Anöstrus und metabolische Komplikationen wie Diabetes mellitus, systemische Hypertonie, Harnwegserkrankungen, akute Pankreatitis, ZNS- und neuromuskuläre Störungen sowie pulmonale Thromboembolien.
Die Diagnose des HAC erfordert in der Regel eine Kombination aus mehreren Tests:
- Cortisol/Kreatinin-Quotient im Urin: Dies ist ein Screening-Test. Er ist nicht diagnostisch, aber Normalwerte schließen mit hoher Sicherheit einen HAC aus.
- Dexamethason-Screening-Test (low dose) (0,01mg/kg Dexamethason i.v.): Bewertung des Cortisols bei T0 sowie vier und acht Stunden nach der Verabreichung.
- Dexamethason-Hemm-Test (high dose) (0,1 -0,5 -1mg/kg Dexamethason i.v.)
- ACTH-Stimulationstest
- Ultraschalluntersuchung der Nebennieren
- Computertomographie – im Falle eines Hypophysentumors
- Hautbiopsie – ist nur richtungsweisend
Ungleichgewicht der Geschlechtshormone Hautveränderungen können durch einen Östrogenüberschuss verursacht werden. Bei Rüden als Folge von Hodentumoren (meist Sertoli-Zelltumore, aber auch Seminome und interstitielle Zelltumore) (Abb. 6) und bei Hündinnen durch zystische Ovarien und seltener durch Eierstockneoplasien. Veränderungen können auch durch exogenes Östrogen verursacht werden, z.B. durch Hormonpflaster der Tierbesitzerin. Die fortschreitende bilaterale Alopezie beginnt in der Regel im Perigenitalbereich und breitet sich an Bauch, Oberschenkel, Brust, Flanken und Hals aus. Hyperpigmentierung, Lichenifikation, Sekundärinfektionen und fettige Haut mit üblem Geruch sind häufige Symptome.
Weitere klinische Anzeichen sind Gynäkomastie und vergrößerte Brustwarzen. Bei männlichen Tieren: hängendes Präputium, lineares Präputialerythem (Abb. 5) und Attraktivität des Tieres für andere Rüden. Bei weiblichen Tieren: Vergrößerung der Vulva. Ein Überschuss an Östrogen kann zu einer irreversiblen Knochenmarksaplasie führen.
Die Diagnose erfordert in der Regel eine Ultraschalluntersuchung und eine Biopsie. Zusätzlich können die Sexualhormone (NNR-Profil: 17-OH-Progesteron, Androstendion, Östradiol) bestimmt werden.
Angeborene oder erworbene Gendefekte (Abb. 7)
Alopecia X: ist häufig beim Zwergspitz, aber auch bei anderen Rassen wie Chow-Chows, Samojeden, Siberian Huskies und Zwergpudeln. Sie ist gekennzeichnet durch einen fortschreitenden Verlust von Primär- und später Sekundärhaar bis hin zur kompletten Alopezie. Sie beginnt am Hals, am Damm oder an den kaudalen Oberschenkeln und entwickelt sich zu einer Alopezie des Rumpfes, mit Ausnahme des Kopfes und der Gliedmaßen.
Die Diagnose basiert auf dem Ergebnis der Biopsie sowie auf Tests, die eine endokrine Erkrankung ausschließen.
Alopezie X ist ein ästhetisches Problem bei einem ansonsten gesunden Tier, während eine Endokrinopathie eine Krankheit ist, die schwerwiegende Folgen für die Gesundheit des Tieres haben kann.
Angeborene Alopezie oder Hypotrichose: Fehlen der Haare bei der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten. Es gibt bestimmte Rassen mit angeborenen Alopezie-Mustern, z. B. Chinese Crested Dog (Abb. 1).
Schablonenkrankheit (pattern baldness): Alopezie aufgrund von Miniaturisierung des Haares, die in der Regel vor dem ersten Lebensjahr beginnt und sich je nach Rasse zur Alopezie in einem bestimmten Bereich entwickelt (Ohrmuscheln, kaudaler Bereich der Oberschenkel, ventraler Bereich von Hals, Brust oder Rumpf). Prädisponierte Rassen haben dünne Haarstandards (Dackel, Chihuahua, Whippet, Windhund). Die Biopsie bestätigt die Diagnose (Abb. 2).
Zyklische, rezidivierende oder saisonale Flanken- alopezie: Prädisponierte Rassen sind Englische und Französische Bulldoggen, Zwergschnauzer, Airdale Terrier, Dobermann u.a. Es kommt zu einer Veränderung der Fellqualität und zu Haarausfall (hauptsächlich an den Flanken), der in der Regel im Spätherbst oder zu Beginn des Frühlings einsetzt, sich innerhalb weniger Monate teilweise oder ganz zurück- bildet und in der folgenden Saison erneut auftritt.
Mit der Zeit geht die Saisonalität des Auftretens verloren und die Alopezie besteht dauerhaft. Die Diagnose kann eine Biopsie und den Ausschluss möglicher endokriner Erkrankungen erfordern.
Follikuläre Dysplasie in Verbindung mit der Haarfarbe: Dies ist die Folge eines schlechten Melanintransfers mit der Bildung großer Melaninaggregate, die den Haarschaft verformen bis er schließlich bricht. Die Alopezie ist anfangs partiell und diffus, was dem Fell ein mottenzerfressenes Aussehen verleiht, und kann sich mit der Zeit auf den ganzen Körper ausbreiten. Je nach Farbe des Fells wird folgende Nomenklatur verwendet:
Alopezie des farbverdünnten Fells: Betrifft Tiere mit verdünnter Farbe (grau-blau, isabell oder verdünnt braun).
Follikuläre Dysplasie des schwarzen Haares: Betrifft ausschließlich schwarzes Haar, mit einer deutlichen Alopezie.
Die Trichographie zeigt das Vorhandensein großer Melanosomen, die den Haarschaft verformen und brechen. Die Biopsie ist diagnostisch.
Klinisch nicht-entzündliche Alopezie in Verbindung mit einem entzündlichen Prozess
Alopecia areata: Die Ätiologie ist unklar, aber sie hat eine immunologische Grundlage. Die Haarwurzeln werden von Lymphozyten angegriffen, was zu ihrer Zerstörung und folglich zu Alopezie führt. Klinisch wird eine fokale, regionale, multifokale oder selten eine generalisierte, nicht entzündliche Alopezie beobachtet. Das Haar kann, muss aber nicht nachwachsen, wenn es nachwächst, ist es meist weiß. Für die Diagnose ist eine Biopsie erforderlich.
Impf- oder Postinjektionspannikulitis: Um- schriebene Alopezie im Zusammenhang mit der Injektionsstelle eines Impfstoffs (hauptsächlich Tollwut) oder einer anderen Injektionslösung. Eine nicht-entzündliche Alopezie kann solitär auftreten oder von einer anderen Läsion begleitet werden (Knötchen-, Geschwürbildung, öliger Ausfluss). Für die Diagnose ist eine Biopsie erforderlich.
Vernarbende Alopezie: Im Zusammenhang mit einem Trauma oder der Genesung von einem schweren und tiefgreifenden Entzündungsprozess. Der Prozess kann mittels Anamnese und dermatologischer Untersuchung diagnostiziert werden. Eine Biopsie kann die Diagnose untermauern.
Traktionsalopezie: Umschriebene Alopezie, die mit Ischämie aufgrund der Verwendung von Gummi- bändern oder Haarklammern einhergeht. Sie führt in der Regel zu einem dauerhaften ästhetischen Defekt. Die Veränderung kann mittels Anamnese und dermatologischer Untersuchung diagnostiziert werden. Eine Biopsie bestätigt die Diagnose.
Dr. Carmen Lorente, DVM, PhD, DipECVD