Insektenstiche können bei Hunden Hypersensitivitätsreaktionen auslösen. Sie zählen neben Vakzinen, Medikamenten und Futtermitteln zu den häufigsten Auslösern einer allergischen Allgemeinreaktion (Anaphylaxie), auch Todesfälle sind beschrieben. In Mitteleuropa sind diesbezüglich vor allem Honigbienen (Apis mellifera) sowie Faltenwespen (Vespula vulgaris und Vespula germanica) bedeutend. Seltener spielen Feldwespen, Hornissen oder Hummeln eine Rolle. Diese Insekten zählen zur Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera) innerhalb der Klasse der Insecta. Das Gift wird über Stiche freigesetzt. Bienen verlieren dabei ihren Stachel und sterben, Wespen und Hornissen können mehrmals stechen. Wie hoch die Prävalenz anaphylaktischer Reaktionen auf Insektenstiche bei Hunden ist, ist unbekannt. Bei Menschen beträgt sie laut Studien 1 – 5 % (1, 2).
Ätiopathogenese allergischer Reaktionen
Das Gift der Hymenoptera enthält eine Vielzahl an Allergenen und biologisch aktiven Komponenten. Es ist eine komplexe Mixtur aus Enzymen, Aminen, Glykoproteinen und Peptiden (3).
Bei Insektengiftallergien handelt es sich in den allermeisten Fällen um eine Überempfindlichkeitsreaktion vom Soforttyp (Typ-I Allergie). IgE-Antikörper gegen Bestandteile des Insektengifts, welche in der Sensibilisierungsphase gebildet werden und sich an der Oberfläche von Mastzellen und basophilen Granulozyten befinden, vernetzen sich mit den zugehörigen Allergenen bei wiederholtem Kontakt. Dies löst eine Degranulation von Mastzellen und basophilen Granulozyten aus, es kommt zur Ausschüttung von vasoaktiven Substanzen und Entzündungsmediatoren (Histamin, Leukotriene, TNF-α, Tryptase u. a.), welche innerhalb von Sekunden bis maximal 30 Minuten allergische, im schlimmsten Fall lebensbedrohliche, Symptome verursachen. Eine anaphylaktische Reaktion ist unabhängig von der Dosis, hängt also nicht mit der Anzahl der Stiche zusammen (1 – 3).
Einige Hunderassen scheinen laut Studien häufiger anaphylaktisch auf Insektenstiche zu reagieren. Dies betrifft Rhodesian Ridgebacks, Boxer und Vizslas. Auch Hunde, welche an einer atopischen Dermatitis leiden, sind überrepräsentiert (4).
Klinik
Klinisch können 3 Reaktionstypen unterschieden werden (1 – 5):
- Die lokale Reaktion mit lokalem Schmerz, lokaler Schwellung und Rötung: Sie ist nicht lebensgefährlich und selbstlimitierend, außer der Stich befindet sich im Maul-/Rachenbereich und die Schwellung führt zur Obstruktion der Atemwege.
- Die allergische Allgemeinreaktion: Anaphylaxie (= akute, systemische, IgE-vermittelte Hypersensitivitätsreaktion), sie entwickelt sich innerhalb von Minuten nach dem Stich. Anaphylaktische Reaktionen werden in verschiedene Grade (Grad 0 – 3) eingeteilt (Abb. 2). Mehrere Organsysteme sind involviert (Haut, Gastrointestinaltrakt, kardiovaskuläres System, Respirationstrakt, Gehirn). Hautsymptome, vor allem Angioödeme (Abb. 3), sind in über 50 % der Fälle vorhanden.
- Eine Intoxikation: Diese kommt bei Schwarmattacken vor und ist dosisabhängig (die tödliche Dosis wird auf 20 Stiche/kg geschätzt). Es kommt zu Rhabdomyolyse, Hämolyse, disseminierter intravasaler Gerinnung, Nieren-, Leber- oder Gehirnschäden.
Diagnostik
Die ersten diagnostischen Schritte sind die genaue Anamnese und Beurteilung der klinischen Symptome, um die Stärke der allergischen Reaktion einzuschätzen beziehungsweise eine Anaphylaxie von einer Intoxikation (nicht allergisch bedingt, sondern dosisabhängig) abgrenzen zu können. Oft ist es nicht einfach, die Einstichstelle, oder (im Fall von Bienenstichen) den eventuell noch vorhandenen Stachel zu identifizieren und herauszufinden, welches Insekt der Auslöser war. Mittels genauer Anamnese können Hinweise gesammelt werden. Honigbienen sind hauptsächlich in Blumenwiesen anzutreffen, Wespen hingegen in der Nähe von Süßigkeiten, süßen Getränken, offenen Nahrungsmitteln und Mülleimern. Handelt es sich um eine allergische Reaktion, können Allergietests durchgeführt werden. Allergietests stehen sowohl in Form von Prick- und Intrakutantests, als auch als serologische Tests zur Verfügung. Laboklin bietet einen allergenspezifischen ELISA (Enzyme Linked Immunosorbent Assay) mittels Fcε-Rezeptortechnologie an, einen hochspezifischen serologischen Test.
Organ |
Stärke der Anaphylaxie |
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Nur Hautsymptome (Grad 0) |
Mild (Grad 1) ≤ 1 klinisches Symptom von mindestens 2 Organsystemen |
Moderat (Grad 2) ≤ 1 klinisches Symptom von mindestens 2 Organsystemen |
Stark (Grad 3) ≤ 1 klinisches Symptom von mindestens 2 Organsystemen |
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Haut oder Augen |
– Urtikaria |
wie bei Grad 0 |
wie bei Grad 0 |
wie bei Grad 0 |
Gastrointestinaltrakt |
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– Bauchschmerzen |
– persistierendes Erbrechen und persistierender Durchfall |
– persistierendes Erbrechen und persistierender Durchfall |
Kardiovaskuläres System |
– Tachykardie |
– vasodilatatorischer oder vasokonstriktiver Schock |
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Respirationstrakt |
– Dyspnoe |
– Zyanose |
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Gehirn |
– Schwäche |
Abb. 2: Einteilung der allergischen Allgemeinreaktionen (1, 5 ) Bildquelle: Dr. Elisabeth Reinbacher
Außerdem werden bei diesem serologischen Test auch die kreuzreagierenden, klinisch unbedeutenden Kohlenhydratseitenketten (CCD) geblockt und so nur die klinisch relevanten IgE gegen Hymenoptera-Venome (Biene, Wespe, Hornisse und Feldwespe) nachgewiesen.
Wann soll getestet werden? Der empfohlene Zeitpunkt ist 2 – 4 Wochen nach dem Stich, bei negativem Ergebnis empfiehlt sich eine Wiederholung nach 4 – 8 Wochen. Manche Studien geben hier sogar eine Zeitspanne von 3 – 6 Monaten an (1). Auch Absetzfristen bezüglich der Therapie mit Glukokortikoiden sollten beachtet werden (Details finden Sie unter https://laboklin.de/de/faq-allergie-allgemein/).
Therapie einer anaphylaktischen Reaktion
Eine schnelle Diagnose und Einstufung des Grades der allergischen Reaktion ist die Voraussetzung für eine potentiell lebensrettende Therapie. Je nach klinischem Schweregrad der Anaphylaxie werden im Akutfall verschiedene Behandlungsschemata empfohlen. Lokale Reaktionen können mittels Kühlung gelindert werden. Handelt es sich ausschließlich um Hautsymptome (Grad 0) oder eine milde anaphylaktische Reaktion (Grad 1) kommen Antihistaminika und Glukokortikoide zum Einsatz, welche die Freisetzung von Mastzell-Mediatoren vermindern und deren Effekt reduzieren. Das Tier sollte 24 – 72 Stunden gut beobachtet werden, denn aus der Humanmedizin ist bekannt (in der Veterinärmedizin bisher jedoch noch nicht beschrieben), dass innerhalb der ersten 72 Stunden eine zweite anaphylaktische Episode auftreten kann (biphasische Reaktionen).
Bei moderaten (Grad 2) und starken (Grad 3) allergischen Reaktionen mit potentiell tödlichen Folgen ist eine sofortige und aggressive Therapie indiziert. Epinephrin (= Adrenalin) sollte intravenös oder intramuskulär und bei Bedarf nach 15 – 20 Minuten wiederholt appliziert werden. Epinephrin führt zu einer Vasokonstriktion und damit zu einer Verbesserung des Blutdrucks und der Perfusion lebenswichtiger Organe. Des Weiteren wirkt es bronchodilatatorisch und vermindert die Produktion von Entzündungsmediatoren. Außerdem sollten Hunde mit einer Grad 2 und 3 Reaktion mit ausreichend intravenöser Dauertropf-Flüssigkeitstherapie, Sauerstoffgabe, Bronchodilatatoren, Antihistaminika und Glukokortikoiden behandelt werden.
Ein engmaschiges Monitoring von Atem- und Herzfrequenz, Pulsqualität und -rhythmus, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Blutgasparametern, Hämatokrit, Leber-, Nieren- und Glukosewerten wird empfohlen. Die Patienten sollten bis zur vollständigen Stabilisierung über Tage stationär betreut werden (1, 2, 4).
Prävention weiterer anaphylaktischer Reaktionen
Generell sollte das auslösende Allergen vermieden werden. Bei einer Bienenallergie betrifft das blühende Felder und Bäume, bei einer Wespenallergie Picknickplätze, Fallobst und Mülltonnen.
Besitzer von Tieren mit Anaphylaxie-Risiko sollten ein Allergie-Notfallset, bestehend aus Adrenalininjektor, Antihistaminikum- und Glukokortikoid-Tabletten oder Zäpfchen, erhalten.
Wie in der Humanmedizin auch, wäre eine Allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT, Hyposensibilisierung, Venom-Immuntherapie, VIT) als Langzeittherapie indiziert, wenn ein Patient schwere Grade (Grad 2 oder 3) einer Anaphylaxie zeigt. Es ist die einzige kausale und auch die effizienteste Behandlungsmöglichkeit um weitere systemische Reaktionen auf Insektengifte zu verhindern oder abzumildern. Das Ziel einer VIT ist die Modulation des Immunsystems, sodass eine allergische Reaktion des Organismus auf das Insektengift ausbleibt, oder milder ausfällt. Die Effizienz einer VIT ist beim Menschen sehr gut, in der Veterinärmedizin gibt es dazu allerdings nur wenige wissenschaftliche Daten. Es gibt keine für den Hund zugelassene VIT, weswegen ASITs off-label durchgeführt werden müssen. Das bedeutet, dass es sich um Humanallergene handelt, die vom behandelnden Tierarzt selbst zusammengemischt werden müssen. Die Informationen, die aus der Literatur vorhanden sind, deuten darauf hin, dass die hohe Effizienz einer VIT aus der Humanmedizin auch bei Hunden zutreffen könnte. Rostaher, 2018 fasste die Informationen von insgesamt 71 Hunden zusammen, welche hyposensibilisiert wurden: Bei 19 Patienten kam es nach erneutem (nicht absichtlich provoziertem) Stich zu keiner oder einer milden Reaktion. Ähnliches berichteten auch die Studien von Ewing et al., 2021 und Rostaher et al., 2021. Die Kontrolle der Wirksamkeit der VIT kann ausschließlich mittels Stichprovokation durchgeführt werden, wiederholte Allergietests sind nicht geeignet.
Eine ASIT wird in zwei Phasen durchgeführt: Einleitungs- und Erhaltungsphase. Zahlreiche Behandlungsprotokolle sind beschrieben, was die Geschwindigkeit der Einleitungsphase (= Dosissteigerung der Immuntherapie bis zur Erhaltungsdosis) betrifft: Ultra-Rush-Protokoll, Rush-Protokoll, Cluster-Protokoll und konventionelles Protokoll. Je schneller gesteigert wird, desto häufiger sind Nebenwirkungen zu beobachten. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, bei einer (Ultra-) Rush-Immuntherapie ein Antihistaminikum zur Prämedikation einzusetzen, einen Venenzugang zu legen und den Patienten intensiv zu überwachen. Die Patienten sollten nach der Injektion in der Praxis zur Überwachung verbleiben, wobei der genaue Zeitraum dieser Überwachung nicht einheitlich festgelegt ist. Rostaher, 2018 beschreibt bei 15 % der 71 mit VIT behandelten Hunde Nebenwirkungen, vor allem gastrointestinale Symptome, aber auch Urtikaria und Kollaps werden berichtet. In der Studie von Ewing et al., 2021 kam es nur bei 2,8 % der 82 Patienten zu Nebenwirkungen, der Großteil davon in der Einleitungsphase. In letzterer Studie wurden hauptsächlich gastrointestinale Nebenwirkungen, selten Urtikaria, Lethargie, Juckreiz, Erythem und Kopfödem beschrieben, es kam zu keinen lebensbedrohlichen Nebenwirkungen.
Die Erhaltungsdosis bei der VIT ist 100 µg, welche bei Therapieversagen auf 200 µg erhöht werden kann. Das Behandlungsintervall unter Verwendung wässriger Lösungen beträgt 4 – 6 Wochen, welches ab dem 3. Jahr auf bis zu alle 8 Wochen verlängert werden kann, Depotpräparate mit Aluminiumhydroxid werden alle 6 – 8 Wochen gespritzt. Eine Verlängerung des Dosisintervalls auf 3 Monate scheint in weiterer Folge möglich zu sein (1). In manchen VIT-Produkten wird humanes Albumin als Stabilisator eingesetzt, Hypersensitivitätsreaktionen bei Hunden auf humanes Albumin sind beschrieben, weswegen VIT-Produkte ohne humanes Albumin verwendet werden sollten (6, 7).
Die Empfehlung zur Behandlungsdauer einer VIT bei Hunden ist in der Literatur nicht einheitlich festgelegt. Den Daten aus der Humanmedizin folgend, wird eine VIT eventuell nach 5 Jahren beendet, sofern ein erneuter Stich zu keiner anaphylaktischen Reaktion führt, ansonsten wird die Therapie lebenslang durchgeführt (1). Ewing et al., 2021 empfehlen generell die lebenslange Therapie.
Zusammengefasst weisen bisherige Studien darauf hin, dass eine VIT bei auf Insektengifte allergischen Hunden eine erfolgreiche und nebenwirkungsarme Therapieform ist, um vor erneuten anaphylaktischen Reaktionen auf Insektengifte zu schützen.
Aktuell gibt es keine für den Hund zugelassene VIT, weswegen eine Hyposensibilisierung gegen Insektengifte nur mittels Humanallergenen off-label durchgeführt werden kann.
Dr. Elisabeth Reinbacher
Weiterführende Literatur
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1 Rostaher A. Bienen- und Wespengiftallergien bei Hunden – Von der Akutbehandlung bis zur Desensibilisierung. Kleintier Konkret. 2018;21(S03):13-19.
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2 Fitzgerald KT, Flood AA. Hymenoptera stings. Clin Tech Small Anim Pract. 2006 Nov;21(4):194-204. doi: 10.1053/j.ctsap.2006.10.002.
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3 Boord M. Venomous insect hypersensitivity. In: Noli C, Foster AP, Rosenkrantz W eds. Veterinary Allergy. Chichester, UK: John Wiley&Sons; 2014. p 191-4
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4 Rostaher A, Hofer-Inteeworn N, Kümmerle-Fraune C, Fischer NM, Favrot C. Triggers, risk factors and clinico-pathological features of urticaria in dogs – a prospective observational study of 24 cases. Vet Dermatol. 2017 Feb;28(1):38-9. doi: 10.1111/vde.12342.
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5 Turner K, Boyd C, Stander N, Smart L. Clinical characteristics of two-hundred thirty-two dogs (2006-2018) treated for suspected anaphylaxis in Perth, Western Australia. Aust Vet J. 2021 Dec;99(12):505-512. doi: 10.1111/avj.13114.
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6 Ewing TS, Dong C, Boord MJ, Fang Y. Adverse events associated with venomous insect immunotherapy and clinical outcomes in 82 dogs (2002-2020). Vet Dermatol. 2022 Feb;33(1):40-e14. doi: 10.1111/vde.13016.
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7 Rostaher A, Mueller RS, Meile L, Favrot C, Fischer NM. Venom immunotherapy for Hymenoptera allergy in a dog. Vet Dermatol. 2021 Apr;32(2):206-52. doi: 10.1111/vde.12931.