Gefahren durch Rodentizide und verendete Nager
Rodentizide („Rattengifte“) sind immer wieder Ursache von lebensbedrohlichen Vergiftungen bei Hunden und Katzen. Es kann zu primären Vergiftungen durch die direkte Aufnahme von Giftködern kommen, z. B. wenn diese zur „Schädlingsbekämpfung“ unsachgemäß frei zugänglich ausgebracht wurden (Abb. 1a). Sekundäre Vergiftungen können durch die Aufnahme vergifteter Nagetiere entstehen (Abb. 1b). Die Aufnahme der Köder oder der verendeten Nager wird häufig nicht direkt durch die Tierbesitzer beobachtet bzw. ist häufig nicht bekannt, um welche Art Gift es sich handelt. Werden die Tiere mit Vergiftungsverdacht in der Praxis vorgestellt, beginnt hier häufig das „Katz-und-Maus-Spiel“ mit der Suche nach der Ursache der Vergiftungssymptome bzw. dem verursachenden Gift. Zwei aktuell wichtige Rodentizide bzw. -klassen stellen wir Ihnen im Folgenden vor:
α-Chloralose
Der Einsatz dieses ursprünglich als Narkotikum und später auch als Avizid (Gift gegen Vögel) eingesetzten Stoffes ist in den letzten Jahren in Europa stark angestiegen (Dijkman et al. 2023). Der Verkauf von Ködermaterial mit dem Gift α-Chloralose ist wenig reguliert, die Beschaffung durch den Online-Handel einfach und dadurch häufig.
Symptome einer Vergiftung mit α-Chloralose basieren im Wesentlichen auf der depressiven Wirkung des Stoffes auf das zentrale Nervensystem (ZNS). Dosisabhängig kann es zu Krämpfen und Konvulsionen, besonderer Anfälligkeit gegenüber äußeren Reizen (Hyperreflexie), Hypersekretion, Depression, Somnolenz, Bradypnoe bis zu Dsypnoe kommen. Häufig kommt es auch zu Hypothermie, da das Gift ebenfalls die Thermoregulation durch das ZNS beeinträchtigt (toxisches Prinzip besonders wirksam gegen wildlebende Nager und Vögel). Das Auftreten der neurologischen Symptome kombiniert mit einer Hypothermie kann den Verdacht auf eine Vergiftung mit α-Chloralose erhärten.
Einer Vergiftung mit α-Chloralose muss durch symptomatische Therapie, insbesondere durch stabilisierende Maßnahmen für Kreislauf, Atmung und Körpertemperatur, entgegengewirkt werden. Der direkte Nachweis des Giftes ist aus Serum oder Harn möglich. Eine Dekontamination sollte in Betracht gezogen werden, wenn die Aufnahme erst wenige Stunden zurückliegt.
Cumarinderivate (Vitamin-K-Antagonisten)
Rodentizide, die indirekt auf die Vitamin-K-abhängigen Blutgerinnungsfaktoren zielen (Vitamin-K-Antagonisten), werden häufig eingesetzt. Abgeleitet von dem natürlich in Pilzen und Pflanzen vorkommenden Cumarin (Stichwort: Süßkleekrankheit) wurden eine Vielzahl so genannter Cumarinderivate entwickelt.
Zur „ersten Generation“ dieser Wirkstoffe gehört z.B. das Medikament Warfarin. Die Wirkdauer der Stoffe der ersten Generation war noch kurz und die Potenz gering, was den Einsatz als steuerbares Medikament oder als Rodentizid ermöglichte. Insbesondere mit dem Ziel, die Stoffe als Rodentizid noch erfolgreicher einsetzen zu können, wurden Stoffe der zweiten Generation entwickelt, welche heute häufig gegen Nager verwendet werden, wie z. B. Brodifacoum und Coumatetralyl. Diese Stoffe sind besonders gefährlich, da sie auf ihre Wirkstärke und leider auch auf möglichst langsame Verstoffwechselung durch den Organismus „optimiert“ wurden.
In Abbildung 2 ist vereinfacht dargestellt, wie die Vitamin-K-Antagonisten ihre verheerende Wirkung auf die Blutgerinnungsfaktoren der Tiere entfalten. Unter physiologischen Bedingungen wird Vitamin K zur Bildung von aktiven Gerinnungsfaktoren (z. B. Faktor II, VII, IX, X sowie Protein C und S) in der Leber konstant „verbraucht“ und dabei zur inaktiven Form Vitamin-K-Epoxid umgewandelt.
Unter physiologischen Bedingungen wird Vitamin-K-Epoxid in der Leber enzymatisch durch die Epoxid-Reduktase wieder zu Vitamin K umgewandelt, wodurch es erneut für die Bildung aktiver Gerinnungsfaktoren genutzt werden kann und im Serum in einer Konzentration nur deutlich unter 10 ng/ml nachweisbar ist.
Alle Cumarinderivate greifen diesen Kreislauf an. Sie hemmen die Epoxid-Reduktase und verhindern so eine „Regeneration“ des inaktiven Vitamin-K-Epoxids zum aktiven Vitamin K. Dies erklärt die oft verzögert eintretenden klinischen Vergiftungserscheinungen, da nach Aufnahme der Gifte zunächst noch aktive Gerinnungsfaktoren und auch Vitamin K vorhanden sind. Beides wird jedoch individuell verschieden schnell verbraucht, abhängig von der Halbwertszeit der verschiedenen Faktoren bzw. der Ausgangsituation des betroffenen Tieres. Sobald die aktiven Gerinnungsfaktoren verbraucht sind, kommt es zu typischen Symptomen schwerster Koagulopathien, wie z. B. Blutungen an Schleimhäuten und ins Mediastinum, Abdomen sowie in den Thorax etc. Gerinnungsparameter zeigen sich stark verändert, wobei die Thrombozytenzahl zunächst normal erscheinen kann.
Die labordiagnostische Überprüfung der Gerinnungsparameter ist bei Vergiftungsverdacht mit Cumarinderivaten dringend indiziert. Bei begründetem Verdacht der Aufnahme solcher Gifte ist eine Therapie mit Vitamin K als „Gegengift“ indiziert. Supplementiertes Vitamin K ermöglicht der Leber wieder die Bildung aktiver Gerinnungsfaktoren. Eine Verabreichung von bis zu 10 mg/kg KG i.v. initial ist in schweren Fällen indiziert, bei klinischer Besserung kann auf Vitamin K p.o. gewechselt werden.
Wir verweisen hier auf einen kürzlich erschienenen Artikel zum Thema (Frommeyer und Mischke, 2024).
Wegen ihrer hohen Wirkpotenz, d.h. sehr geringer Konzentration im Plasma, und dem zusätzlichen Problem, dass eine Wirkung der Stoffe in der Leber lange anhalten kann, auch wenn der Wirkstoff selbst nicht mehr im Plasma nachweisbar ist, ist der direkte Nachweis von Cumarinderivaten i.d.R. in klinischen Fällen wenig hilfreich.
An der Standford University wurde schon vor langer Zeit gezeigt, dass ein Anstieg von Vitamin-K-Epoxid im Serum (Carlisle et al. 1981) direkte Rückschlüsse auf die Aktivität von Vitamin-K-Antagonisten in der Leber liefern kann. Wir konnten eine Nachweismethode für Vitamin-K-Epoxid aus Serum per LC-MS/ MS und damit einen funktionellen Nachweis der Cumarinaktivität etablieren.
Wir freuen uns, Ihnen einen Test aus Serum auf Cumarinaktivität (Level von Vitamin-K-Epoxid) anbieten zu können. Dieser kann eine Vergiftung mit Cumarinderivaten funktionell bestätigen (Anstieg Vitamin-K-Epoxid). Die Analyse ist möglich, ohne die Vitamin-K-Therapie unterbrechen zu müssen. Wir können Ihnen so auch die Information liefern, wann das Gift in der Leber nicht mehr aktiv ist, d.h. wann die Vitamin-K-Therapie sicher beendet werden kann (Abfall von Vitamin-K-Epoxid).
Dr. Simon Franz Müller
Leistungsspektrum
0548 α-Chloralose
0511 Cumarin-Aktivität (Vitamin-K-Epoxid)
0595 Gerinnung