Bei ca. 0,5 – 1% der caninen und felinen Patienten, die mit urologischen Problemen in deutschen Tierarztpraxen vorgestellt werden, werden Harnsteine diagnostiziert. Dabei kann die klinische Symptomatik sehr variabel sein, sie hängt sowohl von der Anzahl, als auch von der Beschaffenheit und Lokalisation der Steine ab. Vom asymptomatischem Zufallsbefund bis hin zu einem lebensbedrohlichen klinischen Verlauf bei vollständiger Blockade der ableitenden Harnwege sind alle klinischen Bilder möglich. Urolithen können grundsätzlich an vielen Lokalisationen auftreten, wobei die Mehrzahl (90 – 99%) der Harnsteine bei Tieren den unteren Harntrakt (Blase, Urethra, Blase und Urethra) betrifft. Harnsteine in Niere und/oder Ureter sind insgesamt selten (1 – 3%). Die Oberflächenform der Steine kann einen Hinweis auf die Bildungsgeschwindigkeit geben. Während eine glatte Oberfläche ein Hinweis auf schnelles Wachstum ist, deuten bizarre Formen eher auf langsames Wachstum hin. Farbliche Veränderungen entstehen erst durch den Einschluss von Urochromen; die Grundfarbe der Harnsteine ist als reine chemische Verbindung weiß. Da Harnsteine trotz identischer mineralischer Zusammensetzung sehr unterschiedlich aussehen können, ist die exakte Analyse Voraussetzung, um eine für den Patienten geeignete Therapieform zu finden bzw. um eine erfolgreiche Rezidivprophylaxe betreiben zu können.
Bezeichnungen Harnsteine
Es existieren unterschiedliche Bezeichnungen für Harnsteine, die sich jeweils auf die chemische Zusammensetzung bzw. mineralische Zuordnung beziehen und die parallel verwendet werden (Abb. 1).
Mineralisch | Chemisch |
Struvit | Magnesium-Ammonium-Phosphat-Hexahydrat |
Whewellit | Kalziumoxalat-Monohydrat |
Weddellit | Kalziumoxalat-Dihydrat |
Brushit | Kalziumhydrogenphosphat-Dihydrat |
Xanthin | 2,6-Dihydroxypurin |
Urate | Salze der Harnsäure |
Abb. 1: Mineralische und chemische Bezeichnung unterschiedlicher Harnsteine; Quelle: D. Breu
Genese verschiedener Urolithe
Struvitsteine entwickeln sich bei Hunden primär als Folge von Harnwegsinfektionen mit ureaseproduzierenden Bakterien (oft Staphylococcus intermedius-Gruppe, Proteus spp.), die Harnstoff zu Bikarbonat und Ammoniumionen spalten. Das entstehende alkalische Harnmilieu verringert die Löslichkeit von Calcium- sowie Magnesiumphosphaten und begünstigt die Auskristallisation sowie eine nachfolgende Steinbildung. Darüber hinaus metabolisieren die Bakterien Citrat, das als wesentlicher Komplexbildner für Calcium- und Magnesiumionen fungiert und die Kristallisation dieser Ionen inhibiert. Auch bei einem diätetischen Überangebot an Mineralien bei gleichzeitig hoher Ammoniumkonzentration und alkalischem Harn-pH-Wert können sich Struvite bilden. Bei Katzen findet eher eine sterile Struvitsteinbildung (70%) statt, die begünstigt wird durch eine geringe Wasseraufnahme, die in hochkonzentriertem Urin resultiert. Liegt gleichzeitig eine hohe Magnesium- und Phosphorkonzentration im Harn vor und steigt der pH-Wert anhaltend auf ≥ 7, ist eine Struvitsteinbildung möglich. Die Bildung von Calciumoxalaten (CaOx) ist komplex und wird von der Ernährung (Aufnahme hoher Proteinmengen, saurem Harn-pH) bzw. dem Trinkverhalten, einer möglichen Rassedisposition, dem Geschlecht, dem Kastrationsstatus bzw. Erkrankungen, die zu einer Hypercalcämie und nachfolgender Hypercalciurie (Hyperadrenokortizismus, primärer Hyperparathyreoidismus) führen, beeinflusst. Für die Bildung von Cystinsteinen werden bei Hund und Katze primär genetische Prädispositionen verantwortlich gemacht. Cystinsteine sind bei Katzen eher selten. Urate (Ammonium-Natrium-Kaliumurate) entstehen bei Hunden (primär Dalmatiner) aufgrund eines genetischen Defekts im Purinstoffwechsel, wodurch weniger Harnsäure zu Allantoin metabolisiert werden kann. Ist die Reabsorption der Harnsäure im proximalen Tubulussystem gestört, kann es bei Vorliegen eines Harn-pH von > 6,3 zur Auskristallisation von Ammoniumuraten kommen. Auch das Vorliegen von Pfortaderanomalien kann zu einer reduzierten Umwandlung von Harnsäure zu Allantoin führen, wobei immer mehrere Faktoren (Ernährung, Harn-pH) an der Entstehung einer Urolithiasis beteiligt sind. Xanthine entstehen i. d. R. aufgrund eines genetischen Defekts der Xanthinoxidase oder als Folge der Hemmung der Xanthinoxidase während/nach einer Therapie mit Allopurinol. Tiere mit genetisch bedingten Xanthinsteinen sind oft sehr jung.
Untersuchungen bei Laboklin 2016 – 2020
Mittels Infrarotspektroskopie wurden über einen Zeitraum von 5 Jahren bei Laboklin Harnsteinproben von ~ 3600 Katzen sowie ~ 2800 Hunden analysiert. Die Infrarotspektroskopie beruht auf der Wechselwirkung infraroter (elektromagnetischer) Strahlung mit Molekülen einer chemischen Verbindung. In Abhängigkeit vom Wellenlängenbereich kommt es für jede chemische Substanz zu einem charakteristischen Absorptionsspektrum, das über den Abgleich mit einer Datenbank zur Identifikation der Zusammensetzung der analysierten Substanz führt. Ein Stein wurde einem bestimmten Mineraltyp zugeordnet, wenn der Anteil einer mineralischen Komponente ≥ 70% entsprach.
Häufigste Harnsteintypen bei Hunden und Katzen in deutschen Praxen
Struvit war die häufigste Harnsteinart beim Hund (45%), während bei Katzen Calciumoxalate (60%) dominierten (Abb. 2).
Verteilung in Abhängigkeit vom Geschlecht/ Kastrationsstatus
Bei Hunden entfielen Struvitsteine überwiegend und zu gleichen Anteilen (~ 80%) auf weiblich intakte und kastrierte Tiere. Calciumoxalate traten überwiegend (50%) bei männlichen kastrierten Tieren auf, während männlich intakte Hunde zu annähernd gleichen Teilen (~ 35%) Cystinsteine und Calciumoxalate zeigten. Xanthine waren insgesamt selten und – anders als bei Katzen – überwiegend bei männlichen Kastraten vorhanden.
Bei Katzen waren Calciumoxalate bei männlichen und weiblichen Tieren nahezu identisch verteilt (~ 59%), wobei Kastraten signifikant häufiger Calciumoxalate hatten als intakte Artgenossen. Struvite waren prozentual annähernd ähnlich verteilt zwischen männlichen und weiblichen Individuen (~ 35%), wobei der Anteil bei intakten Tieren signifikant höher war als bei Kastraten. Cystinsteine waren insgesamt selten und verteilten sich gleichmäßig auf männliche und weibliche Individuen, mit einer Häufung bei intakten Tieren beiderlei Geschlechts. Xanthine waren sehr selten und traten am häufigsten bei männlich intakten Tieren auf.
Medianes Alter und Harnsteintypen
In der untersuchten Population betrug das mediane Alter für Katzen mit Struviten und Calciumoxalaten 7 Jahre, für Hunde 8 bzw. 10 Jahre bei Calciumoxalaten. Katzen (Hunde) mit Cystinsteinen waren 6 (5), solche mit Ammoniumuraten 8 (6) Jahre alt.
Rasseverteilung und Harnsteintypen
Zu den am häufigsten vertretenen Rassen mit Harnsteinen siehe Tab. 1.
Harnsteintyp | Rasse | Anteil (%) |
Struvit / CaOx | Mops | 76% / 12% |
Struvit / Cystin | Labrador | 73% / 13% |
Struvit /CaOx | Shi Tzu | 62% / 27% |
Struvit / Cystin | Dackel | 50% / 33% |
CaOx / Struvit | Zwergschnauzer | 55% / 34% |
CaOx / Struvit | Yorkshire Terrier | 48% / 38% |
CaOx/ Struvit | Malteser | 42% / 36% |
Cystin / Struvit | Franz. Bulldogge | 47% / 32% |
Cystin / Struvit | Am. Bulldogge | 45% / 31% |
Cystin / CaOx | Chihuahua | 44% / 29% |
CaOx / Struvit | Brit. Kurzhaar | 85% / 13% |
CaOx / Struvit | Ragdoll | 75% / 15% |
CaOx / Struvit | Scottish Fold | 74% / 26% |
CaOx / Struvit | Perser | 72% / 24% |
CaOx / Struvit | Birma | 70 % / 12% |
CaOx / Struvit | Kartäuser | 68% / 28% |
CaOx / Struvit | Maine Coon | 67% / 27% |
CaOx / Struvit | British Langhaar | 52% / 39% |
CaOx / Struvit | Euro. Kurzhaar | 51% / 42% |
Tab. 1: Die zwei häufigsten Harnsteintypen nach Rasse bei Individuen mit ≥ 50 Hunden (≥ 20 Katzen) , CaOx = Calciumoxalate; Quelle: D. Breu
Ferner hatten Dalmatiner mit Abstand die höchste Zahl an Ammoniumuraten, während Siamkatzen signifikant häufiger Cystinsteine aufwiesen als andere Rassekatzen. Für beide Spezies sind genetische Ursachen für die jeweilige Steinbildung bekannt bzw. werden diskutiert.
Ist es immer die Rasse?
Da sich unsere analysierten Daten ausschließlich auf Urolithen beschränken, die aus deutschen Tierarztpraxen eingesandt wurden, ist keine generelle Aussage über eine tatsächliche Rassedisposition möglich. Obwohl einige Studien eine ähnliche Rassedisposition für das Auftreten von Harnsteinen bei Hunden beschreiben, zeigt sich jedoch bei Katzen ein weites Spektrum im Vergleich zu anderen Ländern. So zeigen z. B. Katzen der Rassen Britisch Kurzhaar, Ragdoll und Perser in unserer deutschen Population eine deutliche Häufung für das Auftreten von Calciumoxalaten, die aber bei Katzen der gleichen Rassen aus anderen Habitaten nicht bestätigt wird. Einzig für die Siamkatzen wird in der Literatur übereinstimmend eine Neigung zur Bildung von Cystinsteinen bestätigt.
Therapie & Rezidivprophylaxe häufiger Urolithen
Ob und wie schnell Harnsteine aufgelöst werden können bzw. sich Rezidive bilden, hängt in erster Linie von deren Genese bzw. von der gewählten Therapieform ab. Neben diätetisch bzw. diätetisch-medikamentös auflösbaren Harnsteinen [Struvit, Ammoniumurat (teilweise), Cystinsteine] gibt es Urolithen, die nicht diätetisch aufgelöst bzw. nur durch Urohydropropulsion, chirurgisch bzw. durch Lithotripsie entfernt werden können (Calciumoxalate, Brushit, Xanthine, Silikatsteine). Liegen einer Harnsteinerkrankung metabolische Ursachen zugrunde, ist nur die erfolgreiche Therapie der Grunderkrankung zielführend.
Infektionsbedingte Struvitsteine beim Hund können oft durch die Behandlung einer bakteriellen Harnwegsinfektion (Staphylococcus, Proteus, Enterobacter, E. coli, Klebsiella, Streptococcus) in Kombination mit der diätetischen Ansäuerung des Urins aufgelöst werden. Es sollte eine Diät mit einem geringen Gehalt (15 – 20%) an hochwertigem Protein gewählt werden, um die Harnstoffproduktion in der Leber bzw. die Ausscheidung von Harnstoff über den Urin zu reduzieren. Zusätzlich verringert eine geringe Harnstoffkonzentration im Serum den Konzentrationsgradienten im Nierenmark, wodurch der Urin geringer konzentriert ist und die Diurese angeregt wird. Struvitsteine bei Katzen sind überwiegend steril und benötigen daher i. d. R. keine antibiotische Therapie. Eine diätetische Auflösung ist oftmals möglich, wobei als Ziel ein Harn-pH-Wert von 6,2 – 6,5 angestrebt werden muss. Eine gesteigerte Wasseraufnahme durch das Anbieten von Feuchtfutter sowie eine Reduktion der Aufnahme lithogener Substanzen wie Phosphat, Magnesium und Calcium ist ebenfalls hilfreich. Katzen, die eine harnsteinauflösende Diät fressen, dürfen zusätzlich keine weiteren harnansäuernden Medikamente wie Methionin oder Ammoniumchlorid bekommen. Monomineralische Cystinsteine können mittels Diät und Medikamenten aufgelöst werden. Um die Löslichkeit von Cystin zu erhöhen, wird eine Alkalisierung des Harns angestrebt (Ziel: Harn-pH > 7,5). Ferner ist eine Reduktion methioninhaltiger Nahrung (tierische Eiweiße) wichtig, sowie die Erhöhung der Diurese. Um bei Hunden im Rahmen einer proteinrestriktiven Fütterung einen möglichen Carnitinmangel zu vermeiden, wird die Supplementierung mit Carnitin empfohlen. Zusätzlich kommen Medikamente zum Einsatz (D-Penicillamin, Tiopronin), die die Bildung von Cystin aus L-Methionin und der Zwischenstufe Cystein über Bildung von Disulfidbrücken mit dem gut löslichen Cystein blockieren. Das Auftreten von gastrointestinalen Nebenwirkungen sowie eine Hypersensitivität und Lymphadenopathien beim Einsatz von D-Penicillamin werden beschrieben. Für Rüden wird zur Vermeidung einer (rezidivierenden) Cystinsteinbildung von einigen Zuchtverbänden die Kastration bei Tieren mit einer Cystinurie empfohlen.
Obwohl bei Calciumoxalatsteinen keine diätetische Auflösung möglich ist, kann durch die Einstellung des Harn-pH (Hund: angestrebt 6,2 – 6,5; Katze: nur bei konstant niedrigem Harn-pH < 6,0 wird 6,5 – 6,8 angestrebt) einer Rezidivbildung vorgebeugt werden. Zusätzliche Maßnahmen zur Rezidivprophylaxe sind die Anregung der Diurese sowie eine Gewichtsreduktion. Eine vorhandene Harnwegsinfektion ist auszuschließen, die Gabe harnansäuernder Diäten bzw. von Medikamenten ist zu unterlassen bzw. einzustellen. Treten Calciumoxalatsteine rezidivierend auf, kann durch medikamentöse Prophylaxemaßnahmen, wie z. B. eine Harnalkalisierung durch Einsatz von Alkalicitraten, versucht werden den pH-Wert zu steigern. Dabei ist zu beachten, dass ein zu hoher pH-Wert (Nüchtern-Harn-pH > 7,0) wiederum die Bildung von Struvitsteinen begünstigen kann. Die Bildung verschiedener Urate erfolgt in Abhängigkeit vom Harn-pH. Bei einem Harn-pH < 5,7 kristallisiert primär Harnsäure aus, während bei einem pH > 6,3 Ammoniumurate ausfallen. Reine Harnsäuresteine können durch eine Alkalisierung des Harns auf einen Harn-pH-Wert von 6,5 – 7,0 aufgelöst werden, für Ammoniumuratsteine wird ein pH-Wert von 7,0 bis < 7,5 angestrebt. Dabei ist ein Harn-pH-Wert > 7,5 problematisch, da er die Bildung von Calciumphosphaten begünstigt. Diätetisch sollte eine purinarme Diät verabreicht werden, mit der Zielsetzung, die Harnstoffbildung zu reduzieren und nachfolgend die Ausscheidung von Ammoniumionen zu reduzieren.
Zusätzlich sollte neben einer proteinreduzierten Kost auch eine weitere Harnalkalisierung mit Natriumbikarbonat oder Kaliumcitrat erfolgen. Ferner kann der Einsatz von Allopurinol (Xanthinoxidasehemmer) gemeinsam mit einer purinreduzierten Diät versucht werden, wobei die Gefahr der Bildung von Xanthinsteinen besteht. Xanthine finden sich bevorzugt bei einem Harn-pH von < 6,8 und entstehen einerseits sekundär im Rahmen der medikamentösen Blockade der Xanthinoxidase, andererseits als Folge eines genetischen Defekts in der Bildung der Xanthinoxidase. Eine Therapie kann nur durch Urohydropropulsion bzw. chirurgische Maßnahmen erfolgen. Eine geeignete Rezidivprophylaxe ist, ähnlich wie bei den Ammoniumuraten, eine purinreduzierte Ernährung sowie die Steigerung der Flüssigkeitsaufnahme.
Dr. med. vet. Doris Breu