Kennen Sie diese Situationen aus der Praxis? Ein acht Wochen alter Welpe entwickelt nach dem Setzen des Chips ein großes Hämatom? Eine Hündin zeigt verstärkte Blutungen in der Läufigkeit und bei der Kastration kommt es zu ungewöhnlichen Nachblutungen? Ein Labrador hat im Park vor ein paar Tagen etwas gefressen und zeigt nun Apathie, Hämatome und Husten? Und ein im Notdienst vorgestellter Patient zeigt eine hochgradige Thrombozytopenie … Szenarien, die nicht selten vorkommen und den Praxis- und Klinikalltag ordentlich durcheinanderbringen können.
Im Alltag wird man sowohl mit angeborenen als auch mit erworbenen Gerinnungsstörungen konfrontiert. Physiologischerweise kommt es nach einem (Mikro)Trauma zur Bildung von Thromben in den Gefäßen, um den Blutverlust zu begrenzen. Dabei ist das Zusammenspiel zwischen gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Faktoren wichtig. Sind diese Abläufe gestört, kann es zu schwerwiegenden Blutungen oder Thrombenbildung kommen.
Gerinnungsstörungen sind immer potentiell lebensbedrohliche Zustände für den Patienten, vor allem, wenn sie unentdeckt bleiben. Eine ausführliche Anamnese, klinische Untersuchung und die richtige Diagnostik sind deshalb extrem wichtig, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und anschließend adäquat zu therapieren.
Diagnostische Aufarbeitung
Vorbericht und klinische Untersuchung
Die Aufarbeitung eines Patienten mit Gerinnungsstörungen kann komplex sein. Nicht immer ist von vornherein klar, dass es sich um eine Gerinnungsstörung handelt. Eine ausführliche Anamnese ist daher entscheidend.
Zur allgemeinen Gerinnungs-Anamnese gehört:
- Rasse, Alter und Geschlecht des Patienten
- regelmäßige Zeckenprophylaxe?
- Auslandsvorbericht
- Vorerkrankungen
- wurde bei dem Patienten schon einmal eine Blutgerinnungsstörung oder eine Thrombose festgestellt?
- Familienanamnese: sind Gerinnungsstörungen bei Wurfgeschwistern oder Elterntieren bekannt?
- wurden ungewöhnlich lange bzw. verstärkte Blutungen nach Verletzungen und Eingriffen beobachtet?
- Zahnbehandlungen/Zahnwechsel
- Kastration
- Geburten
- Läufigkeiten
- sonstige operative Eingriffe oder Traumata
- bekommt der Patient Medikamente, welche die Blutgerinnung beeinflussen können?
- Schmerzmittel
- Medikamente zur Blutverdünnung
- andere Medikamente (Antibiotika, Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, …)
- kann der Patient etwas aufgenommen haben?
- Rattengift
- Medikamente des Besitzers
Zusätzlich zum Vorbericht ist eine gründliche klinische Untersuchung wichtig.
Störungen der primären Hämostase sind häufig gekennzeichnet durch diffuse mukokutane Farbveränderungen auf Grund vaskulärer Defekte. Es können Petechien (punktförmige Einblutungen), Ekchymosen (kleinflächige Haut- oder Schleimhautblutungen), mukokutane Hämorrhagien und Epistaxis vorkommen. Bei Störungen der sekundären Hämostase finden sich eher Hämatome, Körperhöhlenergüsse und Einblutungen in große Gelenke. Merke: Der Vorbericht und das klinische Bild des Patienten sind wichtig für eine erste Einschätzung, ob eine erhöhte Blutungsneigung vorliegt und ob es sich um eine Störung der primären oder sekundären Hämostase handelt.
Labordiagnostik
Für die weitere Aufarbeitung folgt die Auswahl sinnvoller labordiagnostischer Tests. Nicht immer sind (nur) Globaltests sinnvoll. So können aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) und Thromboplastinzeit (PT) unverändert sein, obwohl der Patient ein Gerinnungsproblem hat.
Je nach Fragestellung sollte deshalb zusätzlich ein großes Blutbild mit Fokus auf die Thrombozytenzahl sowie Organscreening gemacht werden. Je nach Ergebnis und klinischem Verdacht ist dann eine weitere Aufarbeitung notwendig.
Präanalytik
Die Präanalytik umfasst alle Bereiche vor der eigentlichen Analytik. Die Präanalytik trägt entscheidend zur Aussagekraft der labordiagnostischen Befunde bei. Dies gilt insbesondere für alle Gerinnungswerte.
Allgemein kann eine ungünstige Blutentnahmetechnik, starkes Stauen oder die falsche Reihenfolge beim Befüllen der Röhrchen zu einer Verfälschung der Laborergebnisse führen. Citratröhrchen sollten bei Verdacht auf Gerinnungsstörungen immer als Erstes befüllt werden. Der Grund ist einfach: Serumröhrchen sind mittlerweile oft beschichtet mit sogenannten Prokoagulantien. Dabei handelt es sich um gerinnungsfördernde Stoffe. Diese können durch Kontamination in das Citratröhrchen übertragen werden und damit die Messergebnisse signifikant verfälschen.
Die Citratröhrchen können je nach Hersteller unterschiedliche Farben haben (meist blau oder grün) und sind in verschiedenen Größen verfügbar.
Entscheidend ist das richtige Mischungsverhältnis (9 Teile Blut, 1 Teil Na-Citrat). Anders als bei allen anderen Gerinnungshemmern, kann die Gerinnung in mit Na-Citrat versetztem Blut durch Zusatz von Aktivatoren wieder gestartet werden. Die Menge des Aktivators ist genau auf das Mischungsverhältnis im Röhrchen abgestimmt, weshalb das Röhrchen unbedingt exakt bis zur vorgegebenen Füllkante (Strich am Röhrchen) befüllt werden muss. Eine Abweichung im Füllstand kann zu einer Verfälschung der gemessenen Laborergebnisse und damit zu nicht validen Werten für den Patienten führen. Da diese Röhrchen erfahrungsgemäß selten verwendet werden, sollte auch das Mindesthaltbarkeitsdatum vor der Entnahme geprüft werden.
Schon die Bildung von kleineren oder größeren Gerinnseln verfälschen die Analyse oder machen sie gar unmöglich.
Tipp: Kontrollieren Sie regelmäßig Ihre Röhrchenbestände auf Vollständigkeit und Haltbarkeit. Beachten Sie die vorgegebene Füllmenge.
Gerinnungstests
Eine Übersicht über die verschiedenen Gerinnungstests finden Sie in folgender Tabelle.
Test | Beschreibung | Interpretation | Material |
Thrombozytenkonzentration | vollautomatische Thrombozytenzählung oder mikroskopische Thrombozytenschätzung | Thrombozytopenie: verminderte Produktion, erhöhter Verbrauch oder erhöhte/r Zerstörung/ Verlust |
EDTA-Blut |
PT (Thromboplastinzeit) (Quick-Wert) |
extrinsischer und allgemeiner Weg | verminderte Menge oder herabgesetzte Aktivität von Faktor VII, X, V, II, I (z.B. bei Intoxikation mit Rattengift) |
Citrat Plasma |
aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit) |
intrinsischer und allgemeiner Weg | verminderte Menge oder herabgesetzte Aktivität von Präkallikrein, HMK, Faktor XII, XI, IX, VIII, X, V, II, I | Citrat Plasma |
TCT (Thrombinzeit, “thrombin clotting time”) |
extrinsischer und allgemeiner Weg Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin | Therapiekontrolle (Heparin) Fibrinogen vermindert bei erhöhtem Verbrauch | Citrat Plasma |
D-Dimere | Abbauprodukt bei Lyse von Fibrin | gesteigerte Fibrinolyse kann hinweisend auf eine Hyperkoagulopathie bzw. eine vermehrte Gerinnselbildung sein | Citrat Plasma |
Fibrinogen | wird zu Fibrin umgewandelt | Entzündung (Anstieg), Verbrauch mit Hyperkoagulabilität | Citrat Plasma |
ACT („activated clotting time“) |
intrinsischer und allgemeiner Weg | verminderte Menge oder herabgesetzte Aktivität von Faktor IX, VIII, II, I (geringere Sensitivität als aPTT) | Vollblut |
Faktor VIII | intrinsischer und allgemeiner Weg | verminderte Menge oder herabgesetzte Aktivität von Faktor VIII Hämophilie A |
Citrat Plasma |
Faktor IX | intrinsischer und allgemeiner Weg | verminderte Menge oder herabgesetzte Aktivität von Faktor IX Hämophilie B |
Citrat Plasma |
vWF (von Willebrand-Faktor) |
Aktivitätslevel in Prozent | Verminderung beeinflusst die primäre Hämostase | Citrat Plasma |
TEG (Thromboelastografie) |
Thrombozytenfunktionstest Wichtig: Zeitnahe Durchführung obligat! | Hyper- oder Hypokoagulabilität | Citrat Vollblut |
Störungen der primären Hämostase
Verschiedene Erkrankungen können zu Störungen in der primären Hämostase führen. Dazu gehören Thrombozytopenien und Thrombozytenfunktionsstörungen.
Thrombozytopenie
In den meisten Fällen ist eine Thrombozytopenie beim Kleintier ein Zufallsbefund. Als Thrombozytopenie wird eine Verminderung der Thrombozytenzahl unter die tierartspezifische Norm bezeichnet. Thrombozytopenien deuten meist auf einen pathologischen Prozess hin, welcher bei stark erniedrigten Thrombozytenkonzentrationen zu Gerinnungsstörungen führen kann. Häufig ist mehr als ein Grund ursächlich für die Thrombozytopenie.
Es kann zwischen Pseudothrombozytopenien und echten Thrombozytopenien unterschieden werden. Pseudothrombozytopenien entstehen, wenn bei der Thrombozytenzählung nicht alle vorhandenen Thrombozyten gezählt werden. Deshalb ist eine manuelle mikroskopische Beurteilung zur Kontrolle immer vor jeder weiteren Abklärung angeraten.
Mögliche Gründe einer echten Thrombozytopenie sind eine verminderte Bildung im Knochenmark, ein erhöhter Verbrauch, Zerstörung der Thrombozyten oder gesteigerte Sequestrierung.
Von-Willebrand-Faktor Mangel
Die Von-Willebrand-Krankheit (vWD) ist die häufigste vererbte Blutgerinnungsstörung von unterschiedlichem Schweregrad, die aus einem defekten oder gar fehlenden Von-Willebrand-Faktor (vWF) im Blut resultiert. Der vWF ist ein wichtiger Faktor der Blutgerinnung. Ein fehlender oder defekter vWF hat zur Folge, dass betroffene Tiere bei Verletzungen sehr lange nachbluten und je nach Schweregrad auch verbluten können. Die Blutungen betreffen vor allem Schleimhautoberflächen. Zusätzliche Erkrankungen sowie physischer und psychischer Stress können die Blutungen verstärken. Typische Anzeichen sind wiederholte Blutungen im Magen-Darm-Trakt (mit oder ohne Durchfall), Epistaxis, Zahnfleischbluten, verlängerte Blutung bei der Läufigkeit, Lahmheiten durch Blutungen in den Gelenken, Blutergüsse auf der Körperoberfläche, exzessive Blutungen von zu kurz geschnittenen Krallen oder nach Operationen. Man unterscheidet drei verschiedene Formen dieser Erkrankung (Typ 1, 2 und 3). Die vWD Typ 1 ist die mildeste der drei Formen. Im Laborbefund sind keine Verlängerungen der PT, aPTT und TCT zu sehen.
Störungen der sekundären Hämostase
Erkrankungen, welche eine Störung der sekundären Hämostase auslösen sind vielfältig. Sie können angeboren oder erworben sein.
Hämophilie A und B
Diese Erkrankung gehört zu den angeboren Gerinnungsstörungen (x-gonosomal rezessiver Erbgang). Männliche Tiere sind entweder klinisch krank oder gesund, während weibliche in der Regel klinisch inapparente Träger sind.
Ursächlich ist bei Hämophilie ein Mangel oder eine reduzierte Aktivität des Faktors VIII (Hämophilie A) oder des Faktors IX (Hämophilie B). Leichte bis schwere Blutungsneigungen sind möglich. Klinisch auffällig sind bei betroffenen Tieren möglicherweise größere Hämatome, Epistaxis, Haut-, Muskel- und Gelenksblutungen. Schwere Verläufe nach größeren Verletzungen oder Operationen können tödlich verlaufen. Hämophilien treten häufig familien- bzw. rasseassoziiert auf. Die Hämophilie A gehört zu den wichtigsten vererbbaren Blutgerinnungsstörungen in der Rasse Havaneser. Die Hämophilie B gehört zu den wichtigsten vererbbaren Blutgerinnungsstörungen in der Rasse Rhodesien Ridgeback.
Lebererkrankungen
Lebererkrankungen können zu einer gestörten Bildung von gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Faktoren führen. PT, aPTT, ACT oder TCT können erhöht sein. Blutungen sind selten, können aber bei schwerem Leberversagen oder im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung auftreten.
Vitamin K- Antagonisten oder Vitamin K- Mangel
Vitamin K-Antagonisten (z.B. Cumarinderivate (Rattengift), süßer Klee, Medikamente) führen zu inneren und/oder äußeren Blutungen, welche meist innerhalb von 3 – 7 Tagen nach Aufnahme auftreten. Da Cumarinderivate eine sehr hohe Wirkpotenz und damit nur eine sehr geringe Plasmakonzentration aufweisen, ist ein Direktnachweis aus dem Plasma schwierig. Diese Stoffe wirken jedoch auf den Vitamin-K-Kreislauf ein, indem sie die Epoxid-Reduktase hemmen; dadurch lässt sich ein etwaiger Anstieg der Vitamin-K-Epoxid-Konzentration messen („Cumarinakativität“).
Bei Gerinnungstests findet sich typischerweise zuerst eine Erhöhung der PT („Quick-Wert“), im Verlauf sind in der Regel dann auch aPTT und TCT erhöht.
Verbrauchskoagulopathie
Unter einer Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Koagulopathie, „DIC“) versteht man eine Gerinnungsstörung, welche durch eine intravasale Aktivierung der Blutgerinnung entsteht. Sie führt zu einem stark gesteigerten Verbrauch von plasmatischen Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten. Dies äußert sich in einem Mangel dieser Faktoren und einer Thrombozytopenie. Das Resultat können Blutungen sein. Eine DIC entsteht immer sekundär auf Grund von Erkrankungen, die eine inadäquate oder übermäßige Gerinnung auslösen. Hierzu gehören unter anderem schwerwiegende Gewebsnekrosen, Hitzschlag, Infektion mit Angiostrongylus vasorum, Neoplasien, Endotoxämien, Sepsis, Lebererkrankungen, Vergiftungen und Pankreatitis.
Im Laborbefund kann eine Thrombozytopenie, eine Verlängerung der PT, aPTT und TCT, sowie eine Erhöhung der D-Dimere zu sehen sein.
Fazit
Blutgerinnung ist ein komplexes Thema. Patienten mit Gerinnungsstörungen sind nicht immer einfach zu diagnostizieren und können Kopfzerbrechen bereiten. Mit einer gründlichen Anamnese und den richtigen Tests lässt sich jedoch die korrekte Diagnose stellen, damit es „wieder gerinnt“.
Dr. med. vet. Annemarie E. Baur-Kaufhold
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