Mangelnde Literatur, die besondere Problematik in der Diagnostik und unzureichende Kenntnisse über Infektionen strikter Anaerobier führten dazu, dass in der letzten Zeit diese Bakterien fast in Vergessenheit geraten sind. Dank weiterentwickelter Untersuchungstechniken hat sich zwar in den letzten Jahren die sehr heterogene Bakteriengruppe der Anaerobier stark weiterentwickelt; in Bergey´s Manual of Determinative Bacteriology wurden in der Zwischenzeit insgesamt 47 Gattungen (GR. 6) gramnegativer, anaerober Bakterien zusammengefasst, jedoch das Wissen über anaerob wachsende Bakterien bei den Tierärzten bleibt gering. Dieses „LABOKLIN aktuell“ soll dazu beitragen, unsere Kenntnisse wieder aufzufrischen.
Allgemeines
Nach der phylogenetisch orientierten Systematik wird die Mehrzahl der veterinärmedizinisch relevanten Gattungen in den Stamm „Bacteroides“ eingeordnet. Sauerstoff ist für diese Bakterien toxisch, da sie bestimmte Enzyme wie die Superoxiddismutase, Katalase oder Peroxidase nicht besitzen, um reaktive Sauerstoffradikale abzubauen. Die unterschiedliche Fähigkeit der Bakterien, O2 als Elektronenakzeptor zu gebrauchen, dient der Einteilung von anaeroben Bakterien:
Einteilung
Obligat anaerobe Bakterien eingeteilt nach Morphologie und Färbeverhalten:
1. Obligat anaerobe grampositive sporenbildende Stäbchen
Clostridien
Actinomyces spp.
Propionibakterien
2. Obligat anaerobe gramnegative Stäbchen
Bacteroides spp.
Fusobakterien
Prevotella
Porphyromonas
3. Obligat anaerobe grampositive Kokken
Peptokokken
Peptostreptokokken
Eubakterien
4. Obligat anaerobe gramnegative Kokken
Veillonellen
O2 ist toxisch, Wachstum nur in O2-freiem Milieu
Beispiel: Clostridien, Bacteroides-Gruppe, Peptokokken
Fakultativ anaerobe Bakterien
Wachstum sowohl in Gegenwart von O2 als auch im O2-freien Milieu. Beispiel: Enterobacteriaceae, Streptokokken und Staphylokokken
Die Erniedrigung des Redoxpotentials und parallel eine Beeinträchtigung der Phagozytoseaktivität der Abwehrzellen, macht die Ansiedlung anaerober Bakterien im Gewebe erst möglich. Sauerstoffzehrende aerobe Bakterien können somit die Vermehrung strikter Anaerobier im Gewebe fördern.
Prädisponierende Faktoren, um eine Anaerobierinfektion auszulösen
Immunsupression:
zytotoxische Chemotherapie
Glukokortikoidtherapie Neutropenie
Hypogammaglobulinämie
aerobe Antibiotikatherapie
(Chloramphenicol)
Diabetes mellitus
veränderte Sauerstoffzufuhr:
Gefäßverengungen
Hypotonie
Gewebeanoxie
Gastrointestinale Obstruktionen oder Stase
Gewebetrauma
Gewebekontaminationen:
Gastrointestinal- oder
Urogenitaltraktperforationen
Bisse, oderWunden von Geweben
externe Gewebeeinwanderungen
Epidemiologie und Vorkommen
Bei Infektionen von obligaten Anaerobiern sind neben grampositiven Erregern (Peptostreptococcus, Clostridium, Aktinomyceten) vor allem gramnegative Bakterien der Genera Bacteroides, Prevotella, Porphyromonas und Fusobakterien beteiligt. Es treten meist Mischinfektionen mit verschiedenen aeroben oder fakultativ anaeroben Bakterien auf. Anaerobierinfektionen sind überwiegend endogener Natur mit Ausnahme einiger Clostridiosen, da die Erreger als natürlichen Standort die Schleimhautflora des Wirtsorganischen Standort die Schleimhautflora des Wirtsorganismus haben. Anaerobier leben niemals in gesundem Gewebe. Auf mukösen Schleimhäuten (Intestinaltrakt, Maulschleimhaut, Genitaltrakt) sind sie meistens vergesellschaftet mit anderen Mikroorganismen, die O2 an die Umwelt abgeben. Ein Teil der dort vorhandenen Arten besitzt Virulenzfaktoren wie Adhäsine, Toxine und Enzyme und kann somit z. B. beim Zerstören der Schleimhautbarriere nach chirurgischen Eingriffen bzw anderen Verletzungen allein oder in Kooperation mit aeroben Keimen, eitrige Prozesse auslösen. Beschrieben sind solche Infektionen in fast allen Organsystemen oder Körperbereichen. FINEGOLD et al. beschrieben bevorzugt Mischinfektionen im Dental-, Urogenital- oder Intraabdominalbereich.
Bei Katzen werden häufig in der Tierarztpraxis Weichteilgewebeinfektionen sogenannte “Abszesse“ die durch Bakterien im subkutanen Gewebe entstehen können, diagnostiziert. Der Eintritt der Erreger erfolgt durch Bisse und Kratzer beim Kämpfen mit anderen Katzen oder Nagern. Auch Fremdkörper wie Grasspelzen oder Grannen bzw. Luftgewehrgeschosse können Ursache für einen nicht heilenden Abszess sein. Beim felinen Abszess sind meist mehrere Bakterienarten beteiligt, die auch zur physiologischen Maulschleimhautflora gehören. Neben aeroben Erregern wie Pasteurella multocida und grampositiven Kokken kommen am häufigsten Anaerobier wie Porphyromonas sp., Fusobakterium sp., Peptostreptococcus sp. und Clostridien vor.
2008 isolierten SCARLETT et al. Anaerobier bei 14 % Hunden mit ulzerativer Keratitis. An erster Stelle rangierten Clostridien, gefolgt von Peptostreptokokken, Aktinomyceten, Fusobak-terien und Bacteroidesspezies. Das klinische Erscheinungsbild war sehr unterschiedlich.Okulare Traumata, vorher existierende Hornhauterkrankungen, vorausgegangene Operationen und dermatologische Erkrankungen in Augennähe korrelierten signifikant mit dem Vorkommen von positiven Anaerobiern. WALKER et al. isolierten aus 51 Hunden und 47 Katzen mit Pyothorax durch Thorakozentese Pleuralflüssigkeit. Obligate Anaerobier wurden bei 28 Hunden und 40 Katzen isoliert. Mischkulturen mit aeroben und anaeroben Keimen wurden bei 17 Hunden und 20 Katzen isoliert. Diese Studie ergab, dass Antibiotika für beide Bakteriengruppen verabreicht werden mussten. M.OTTENJANN et al. bestätigten dieses Ergebnis. Sie wiesen am häufigsten obligat anaerobe Keime in Mischkulturen nach mit zwei bis vier Keimen. Aber auch beim Pferd haben genigenitale Infektionen durch anaerobe Keime Einzug gehalten. Bacteroides ureolyticus, ein gramnegativer großer pleomorpher Erreger, der schwer von Taylorella equigenitalis zu unterscheiden ist, gewinnt in der Reproduktionsmedizin des Pferdes immer mehr an Bedeutung. Bekanntermaßen besiedelt er die unteren Geschlechtswege. In ungarischen Gestüten wurden diese Erreger bei Stuten mit infektiösen Gebärmutterentzündungen ähnlich Taylorella equigenitalis und einer deutlichen Verringerung der Geburtenrate nachgewiesen. Bei Wiederkäuern sind an der Entstehung von Klauenentzündungen (Moderhinke, Schaf, Dermatitis digitalis, Rind, Rusterholzsches Sohlengeschwür, Rind) häufig Anaerobier beteiligt.
Was muss der Tierarzt bei der Probennahme beachten
Bereits mit der Verwendung von Transportmedien beginnt die Sicherung einer hohen kulturellen Ausbeute. Materialien, die auf strikte Anaerobier untersucht werden sollen, müssen entweder luftdicht verschlossen sein z.B. in einer steril verschlossenen Spritze oder auf geeignete Anaerobier-Transportmedien wie z.B. Portagerm-Röhrchen (BioMerieux), oder Tupfer mit Amies-Medium mit/ bzw. ohne Kohlenstoffzusatz, transportiert werden.
Wann sollte auf anaerobe Keime untersucht werden
Bei: Abszessen,Wundinfektionen, Pleuraempyegen, infizierten Ulcera etc. Zu beachten ist, dass die einfache bakteriologische Untersuchung nie Anaerobier mit erfasst. Bei klinischem Verdacht muß diese Untersuchung daher extra angefordert werden.
Welches Material ist geeignet
Wundabstriche, Abszessmaterial, intraoperative Abstriche, Punktate, Biopsiematerialien, Sinussekrete, BAL, Aszitesmaterial, Eiter- und Gallenflüssigkeit
Untersuchungdauer: ca. 4-7 Tage
Eigene Untersuchungen
Im Jahr 2009 wurde bei LABOKLIN aus Routineeinsendungen 1146 Proben auf anaerobe Bakterien untersucht. Bei immerhin 413 Proben (36%) konnten strikte Anaerobier nachgewiesen werden. 733 Proben (63,9%) zeigten nur aerobes bzw. kein kulturellesWachstum. Die relative Häufigkeit der positiven Anaerobier-Proben ist in Grafik 1 gewiesen werden. 733 Proben (63,9%) zeigten nur aerobes bzw. kein kulturelles Wachstum. Die relative Häufigkeit der positiven Anaerobier-Proben ist in Grafik 1 dargestellt:
Zur Untersuchung gelangten Probenmaterialien aus Abstrichen diverser Herkunft, z.B. aus den Augen, Abszessen, Wunden und den Urogenitaltrakt. Grafik 2 zeigt bei Hunden, Katzen und Pferden das Vorkommen und die eingesandten Lokalisationen. Nager, Vögel und andere exotische Tiere wie Echsen und ein Känguruh sind nicht in Grafik 2 mit ausgewertet worden. Sämtliche Untersuchungsmaterialien werden dazu auf vorreduziertem Schädler-Agar mit 5% Rinderblut und Vitamin K-Zusatz sowie auf Schädler-Agar mit 5% Rinderblut und Zusatz von Kanamycin und Vancomycin, 48h bei 37 °C anaerob bebrütet. Die anaeroben Anzuchtbedingungen erfolgen maschinell mit dem Mics Macs Jar Cassing System. Falls nach 48h kein Wachstum eintritt, werden die Platten nochmals mit dem Mics Macs System begast und erneut 48h bebrütet. Verdächtige Kolonien werden auf 2 Columbia-Schafblutplatten subkultiviert und aerob bzw. anaerob 24h bei 37°C bebrütet.Wachsen auf der Blutplatte aerob und anaerob Bakterien an, ist die Probe negativ zu bewerten. Wachsen nur anaerob Bakterien, erfolgt eine vorläufige Differenzierung mit dem Verhalten gegenüber Galle-Brillantgrün und verschiedenen antibakteriell wirksamen Testblättchen.Gleichzeitig werden Anreicherungen in Thioglycolat-Bouillon (Merck) angelegt und für 18-24h bei 37°C bebrütet. Die Anreicherungen werden ebenfalls auf Schädlerselektivnährböden ausgestrichen, und anaerob für 48h bebrütet. Die Thioglycolat-Bouillon ermöglicht ein gutesWachstum vor allem von grampositiven Anaerobiern, wie Clostridien.
Die exakte Identifizierung erfolgt mit Hilfe der MALDI-ToF-Massenspektrographie Shimadzu/Anagnostec bzw. mit dem API 20A- oder rapid ID 32A-System, BioMerieux.
Auswertung
Den größten Anteil hatten die grampositiven Stäbchen mit den Clostridien-Arten. Bei 330 Proben (79,9%) konnte Clostridium perfringens nachgewiesen werden. An zweiter Stelle rangieren Clostridienarten wie Clostridium fallax, Clostridium tertium und Clostridium sordellii. Es folgten Prevotella-Spezies mit 20 Isolaten und Porphyromonassp. mit 12 Isolaten. Bacteroides sp. wurde durch den MALDI-ToF mit 9 Isolaten (2,84%) identifiziert. Mehrmals wurde aus sogenannten „sterilen Abszessen“ z. B. beim Kaninchen Bacteroides uniformis isoliert und zweimal Bacteroides sp. vom Pferd.
Antibiotikatherapie: Anaerobier
Bei Anaerobiern kann die Empfindlichkeitsbestimmung problematisch sein. Nahezu 30-40% der Anaerobier wachsen im Mikrodilutionsver-fahren nicht gut an. Blättchentests sind wegen der variierenden Wachstumsraten und des instabilen Antibiotikumgradienten um das Filterblättchen, nicht gut geeignet. Beim MHK-Wert mit Verdünnungsmethoden sind ebenso häufig Fehler beschrieben; dagegen werden Resistenztests mit Hilfe des sogenannten E-Test-Verfahrens als sehr gut bewertet.
Gut wirksam gegen Anaerobier:
- Metronidazol
- Clindamycin
- Penicillin +ß-Lactamaseinhibitor (Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam)
- Carbapeneme (Imipenem, Meropenem)
- Chloramphenicol (Resistenz!!)
Unsicher wirksam:
- Penicilline
- Cephalosporine (Cefoxitin teilweise)
Schlecht wirksam:
- Aminoglykoside
- Chinolone
Diskussion und Resumee
Der hohe Anteil an grampositiven Clostridien lässt sich durch die zusätzliche Anreicherung in Thiogylcolat-Bouillon erklären. Dieses Medium ermöglicht ein optimales Wachstum. Clostridien kommen auf der Haut neben den Haarbälgen vor und sind ebenso als physiologische Erreger im Darm- bzw. Urogenitaltrakt beschrieben. In Kombination mit anderen Schleimhautbesiedlern wie z. B. Enterobacteriacae oder auch Staphylokokken können sie durch niedrige Sauerstoffspannung in angrenzendes Gewebe vordringen und beim Vorfinden geeigneter Verhältnisse zu Infektionen führen. SCARLETT et al. beschrieben einen hohen Clostridienbefall bei 14% Hunden mit ulzerativer Keratitis. Prevotella sp. und Porphyromonas sp. sind in der Literatur bei allen Tierarten beschrieben und kommen bevorzugt bei eitrigen Prozessen im Mund- und Kieferbereich bei Hunden vor. Porphyromonas gingivalis besitzt viele Virulenzfaktoren und führt auch bei Katzen zu peridontalen Erkrankungen. Als Leitkeim eitriger und septischer Anaerobierinfektionen ist die Bacteroides-Gruppe beschrieben (Werner et al. Virulenzfaktoren und führt auch bei Katzen zu peridontalen Erkrankungen. Als Leitkeim eitriger und septischer Anaerobierinfektionen ist die Bacteroides-Gruppe beschrieben (Werner et al. 1985).
Was muss man beachten!
- Bei Verdacht auf Anaerobier-Infektionen sind gezielte bakteriologische Untersuchungen unverzichtbar
- Zum Transport sind spezielle Tupfer zum Überleben der anaeroben Keime nötig
- Anaerobe Keime haben generell hohe Anforderungen an ihre Kultivierung
- Die Diagnostik von Anaerobiern ist zeit-, kosten- und arbeitsintensiv
- Anaerobieruntersuchung bei der zuchthygienischen Untersuchung beim Pferd mit niedriger Geburtenrate
- Sterile Abszesse bei Nagern auf Anaerobier untersuchen lassen
- Antibiogramme sind nicht zuverlässig
Polymikrobielle Infektionen mit aeroben und anaeroben Keimen sind schwierig zu beurteilen, da man häufig nicht weiß, ob es sich um Bakterien handelt die ursächlich am Infektionsprozess beteiligt sind oder ob es sich um eine Kontamination handelt.Proben die aus normalerweise keimfreien Lokalisationen gezogen werden, sind leichter zu interpretieren. Unverzichtbar sind für die Beteiligung von Anaerobiern bei der Auslösung von eitrigen Prozessen die von Anaerobiern produzierten Virulenzfaktoren, die in Verbindung mit aeroben Erregern einen synergistischen Effekt entfalten. Deswegen bringt eine alleinige Therapie der aeroben/fakultativ anaeroben Flora meist nicht den gewünschten Erfolg; ein Heilungserfolg ist nur gewährleistet beim Einsatz des richtigen Antibiotikums.
02 / 2010