Ist das Tier kastriert oder nicht kastriert? Diese Frage stellt sich immer dann, wenn entweder Fundtiere oder Tierheimtiere mit fehlenden Kastrationsnarben und unklarem Kastrationsstatus vorgestellt werden oder ältere, vermeintlich kastrierte Tiere wieder typisches sexuelles Verhalten wie Aufreiten, Rammeln, Jagen und vermehrt Aggression zeigen.
Als Ursachen kommen verschiedene Möglichkeiten in Frage:
- Das Tier ist unkastriert.
- Das Tier ist unvollständig kastriert (Ovarian Remnant Syndrom (ORS), Kryptorchismus oder Hodenrestgewebe).
- Das Tier ist kastriert, hat aber einen Geschlechtshormon-produzierenden Tumor z. B. in den Nebennieren (Hyperadrenokortizismus).
Wichtig ist die Fragestellung in Bezug auf mögliche Vergesellschaftungen, die Prävention von geschlechtsorganspezifischen Neoplasien (Ovar-, Uterus-, Hodentumore) und auf deren Diagnose sowie die mögliche Therapie von vorhandenen Neoplasien.
Wie hilft die Labordiagnostik?
Jeder Laboruntersuchung geht ein ausführlicher Vorbericht und eine gründliche klinische Untersuchung voraus. Werden hier keine eindeutigen Beweise für den Kastrationsstatus gefunden, hilft die Blutuntersuchung. Prinzipiell gibt es dabei drei verschiedene Möglichkeiten, die je nach Tierart und Alter des Tieres mehr oder weniger gut geeignet sind:
- Basalwertbestimmungen klassischer Geschlechtshormonkonzentrationen (Testosteron, Östradiol, Progesteron, 17-OH-Progesteron, weitere ergänzende Steroidhormone)
- HCG-Stimulationstest (mit 2 Progesteron- oder Testosteronkonzentrationsmessungen)
- neu für Kaninchen: Bestimmung der Konzentration des Anti-Müller-Hormon (AMH)
Auf Vor- und Nachteile der einzelnen Tests bei verschiedenen Kleinsäugern wird im Folgenden eingegangen.
1. Basalwertbestimmungen klassischer Geschlechtshormonkonzentrationen
Die Bestimmung einzelner Geschlechtshormone ist prinzipiell auch bei Kleinsäugern möglich, es liegen aber nur für wenige Tierarten gesicherte Referenzwerte vor. Typischerweise wird entsprechend bei weiblichen Tieren die Progesteronkonzentration und bei männlichen Tieren die Testosteronkonzentration gemessen.
Basalwertbestimmungen sind in Bezug auf den Kastrationsstatus aber nur bei hohen Hormonkonzentrationen beweisend.
Niedrige Einzelwerte (Basalwerte) sind diagnostisch nicht beweisend:
- Die Tiere können kastriert sein.
- Weibliche Tiere können sich im Anöstrus befinden.
- Die Hormonproduktion ist zyklisch gerade auf einem Tiefpunkt.
Die Östradiolkonzentration unterliegt starken Schwankungen und ist daher zur Beantwortung der Frage „Kastration ja/nein“ ungeeignet. Sie kann aber bei männlichen Tieren mit Verdacht auf einen östrogenproduzierenden Sertolizelltumor oder kastrierten Frettchen mit Verdacht auf Hyperadrenokortizismus zur Diagnostik verwendet werden. Androgene und 17-OH-Progesteron spielen nur im Rahmen der Hyperadrenokortizismus-Diagnostik bei kastrierten Frettchen eine Rolle und können im Paket (NNR-Profil Frettchen) angefordert werden.
2. HCG-Stimulationstest (mit 2 Progesteron- oder Testosteronkonzentrationsmessungen)
Zum eindeutigen Nachweis von gonadalem Gewebe ist ein HCG-Stimulationstest mit der Konzentrationsmessung von Progesteron beim weiblichen oder Testosteron beim männlichen Tier sinnvoll. Hierbei stimuliert GnRH die Sezernierung von LH aus dem Hypophysenvorderlappen. LH wiederum stimuliert die Produktion von Progesteron in den Ovarien sowie Testosteron in den Leydig-Zellen (Abbildung 1).
Aktuell sind für Kleinsäuger – und hier nur für Kaninchen – Buserelin-Präparate (GnRH-Analogon, Receptal®, Buserelin®, Veterelin®) zugelassen. In-vitro-Studien haben jedoch gezeigt, dass Buserelin die Progesteronproduktion in der mittleren und späten Lutealphase reduziert (Zerani et al. 2010) und so zu falsch niedrigen Ergebnissen führen kann. Häufiger eingesetzt werden daher HCG-Präparate (Ovogest®, Suigonan®). Sie sind bei keinem Kleinsäuger zugelassen und müssen entsprechend umgewidmet werden, sind aber vielfach erprobt und gut einsetzbar.
Durchführung und Interpretation des Stimulationstests beim Kaninchen sind in Tabelle 1 beschrieben. Für andere Kleinsäuger sind in der Literatur bisher noch keine spezifischen Tests beschrieben, eine Übertragung ist jedoch sehr gut möglich.
Bestimmung der Konzentration des Anti- Müller-Hormons (AMH) beim Kaninchen
Eine gute Alternative zum HCG-Stimulationstest bei Kaninchen ist die AMH-Konzentrationsbestimmung. Bei Hunden und Katzen wird AMH mittlerweile routinemäßig zur Unterscheidung kastriert/unkastriert sowie zur Diagnostik eines ORS oder des Kryptorchismus angewendet. AMH ist auch zur Diagnose eines Granulosazelltumors bei Stute, Hündin und Kuh sowie zu Diagnose eines Sertolizelltumors beim Rüden geeignet. Beim Pferd dient AMH ebenso der Kryptorchidendiagnostik (Böhmer 2023).
Tab. 1: HCG-Stimulationstest zur Diagnose gonadalen Gewebes beim Kaninchen (in Anlehnung an Geyer 2015, Schützenhofer 2011)
Männlich | Weiblich | |
Durchführung: | ||
1. Blutentnahme (Basalwert): | Bestimmung von Testosteron | Bestimmung von Progesteron |
Injektion von: | 0,8 µg Buserelin (z. B. Receptal®) oder 100- 250 IU/Tier HCG (z. B. Ovogest®) i. m. | |
2. Blutentnahme (Stimulationswert): | Blutentnahme nach 1 Stunde | Blutentnahme nach 5 – 7 Tagen |
Interpretation Stimulationswerte: | Testosteron | Progesteron |
hormonbildendes Gewebe vorhanden (unkastriert, ORS) | > 1 ng/ml | > 4 ng/ml |
fraglicher Bereich | 0,1 – 1 ng/ml | 2 – 4 ng/ml |
kein hormonbildendes Gewebe (kastriert) | < 0,1 ng/ml | < 2 ng/ml |
AMH ist ein dimetrisches Glykoprotein, das an der fetalen sexuellen Differenzierung beteiligt ist. Beim männlichen Tier führt es zur Unterdrückung der Entwicklung der Müller’schen Gänge. Zeitgleich differenzieren sich unter Einfluss von Testosteron aus den Wolff’schen Gängen die Nebenhoden, Samenleiter und Samenblasendrüsen. Beim weiblichen Tier findet diese Hemmung durch AMH nicht statt und die Müller’schen Gänge entwickeln sich dann zu Eileiter, Uterus, Zervix und kranialer Vagina. Beim geschlechtsreifen Tier wird AMH unabhängig vom Zyklus ausschließlich in den Granulosazellen der Ovarien und in den Sertolizellen der Hoden gebildet (Böhmer 2023).
Neue Veröffentlichungen zeigen, dass die Tests, die zur Bestimmung der AMH-Konzentration bei anderen Tierarten verwendet werden, auch für die Konzentrationsmessung beim Kaninchen geeignet sind (Böhmer et al. 2022). Böhmer und Kollegen (2022) untersuchten mit Hilfe von Laboklin die AMH-Konzentrationen mittels Chemiluminiszenzassay (CLIA) bei 64 intakten sowie 22 kastrierten adulten weiblichen Kaninchen auf die Unterscheidung kastriert/ unkastriert sowie die AMH-Konzentration in Verbindung mit Scheinträchtigkeit und Anzahl der Follikel (Böhmer et al. 2022). Um festzustellen, ob die Zippen scheinträchtig waren, wurde zudem die Progesteronkonzentration gemessen (< 2 ng/ml: Follikulärphase, nicht scheinträchtig, > 2 ng/ml: Lutealphase, scheinträchtig).
Alle kastrierten Zippen zeigten AMH-Konzentrationen < 0,07 ng/ml, unterschieden sich hochsignifikant (p < 0,001) von denen intakter weiblicher Kaninchen und die Wertebereiche überlappten sich nicht (Tabelle 2). Es lag kein signifikanter Unterschied in der Follikular- und Lutealphase vor (p < 0,951).
Im Rahmen weiterer Laboklin-interner Untersuchungen (2023) wurden bei 33 männlich kastrierten Kaninchen mit dem identischen Gerät mittels CLIA ähnliche Daten gemessen (Tabelle 2). Ein vorläufiger Referenzbereich von < 0,07 ng/ml wurde für das männlich-kastrierte Kaninchen etabliert.
Tab. 2: AMH-Konzentrationen beim Kaninchen (CLIA; weibliche Tiere, nach Böhmer et al. 2022; männliche Tiere, unveröffentlichte Daten von Laboklin)
Kastrationsstatus | Anzahl (n) | Mittelwert ± Standardabweichung (ng/ml) | Median (ng/ml) | Range (ng/ml) |
weiblich kastriert | 22 | 0,05 ± 0,04 | 0,06 | 0,01 – 0,23 |
weiblich intakt | 64 | 1,67 ± 0,64 | 1,53 | 0,77 – 3,36 |
Zippe: AMH < 0,07 ng/ml → kastriert |
||||
männlich kastriert | 33 | 0,04 ± 0,03 | 0,03 | 0,01 – 0,12 |
männlich intakt | 11 | 14,00 ± 7,83 | 12,94 | 3,76 – 22,96 |
Rammler: AMH < 0,07 ng/ml → kastriert |
Die Ergebnisse decken sich mit denen anderer Studien (Schwarze 2023), wobei dort andere Geräte und Testverfahren verwendet wurden.
Unterschiede zwischen intakten und kryptorchiden Rammlern wurden bisher nicht untersucht. Bei Hunden, Kälbern und Hengsten haben Kryptorchide aufgrund unreifer Sertolizellen und/oder fehlender Suppression durch Testosteron höhere AMH-Konzentrationen als Intakte (Böhmer 2023).
Somit ist die AMH-Bestimmung sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Kaninchen gut zur Überprüfung des Kastrationsstatus geeignet. Der Vorteil ist die einmalige Blutentnahme ohne Injektion und somit das schnelle Vorliegen des Ergebnisses. Von Nachteil ist die Empfindlichkeit der Probe, die das Einsenden von gekühltem, abzentrifugiertem und abpippetiertem Serum (mind. 200 µl) erfordert.
AMH-Konzentrationen oberhalb von 0,07 ng/ml sind hinweisend auf gonadales Gewebe.
Zur Einsetzbarkeit der AMH-Messungen bei anderen Kleinsäugern und im Rahmen der ORS- und Granulosazell-/Sertolizelltumordiagnostik sowie im Bereich des Hyperadrenokortizismus bei Kleinsäuger sind weitere Studien nötig.
Fazit
Goldstandard zur Differenzierung zwischen kastrierten und unkastrierten Kleinsäugern ist der HCG-Stimulationstest mit 2 Progesteron-/Testosteronmessungen. Einzelmessungen sind nur bei hohen Konzentrationen beweisend für unkastrierte Tiere. Bei Kaninchen ist die AMH- Bestimmung eine gute Alternative.
Jana Liebscher Dr. Jutta Hein
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