Die idiopathische Epilepsie bei Hund und Katze wirft nicht selten diverse Fragen bei Tierhalter und Tierarzt auf. Eine Gruppe ausgewiesener Experten auf dem Gebiet hat sich im Rahmen der Laboklin Expertenrunde mit diesem wichtigen Thema beschäftigt.
Teilnehmer der Expertenrunde waren:
- Prof. Dr. Holger Volk, Direktor Klinik für Kleintiere, Tierärztliche Hochschule Hannover
- Prof. Dr. Heidrun Potschka, Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, Tierärztliche Fakultät, LMU München
- Prof. Dr. Andrea Fischer, Leitung Abteilung Neurologie, Zentrum für klinische Tiermedizin, LMU München
- Prof. Dr. Sonja Bröer, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, FU Berlin
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Abb. 1: Bei Anfallsleiden ist eine gründliche Abklärung möglicher Ursachen notwendig.
Bildquelle: envatoelements
Prof. Volk zeigt auf, wie die Einordnung von epileptischen Anfällen gelingt. Ein generalisiertes tonisch-klonisches Krampfgeschehen wird dabei am ehesten einer Epilepsie zugeordnet. Schwerer fällt die Beurteilung bei fokalen Anfällen. Hier kann das Vorhandensein einer Hypersalivation hilfreich sein.
Bei Synkopen hingegen kommt es eher zu einem einmaligen, kurzen Myoklonus mit sehr schneller Erholung. Der Epilepsie ähnlich kann die paroxysmale Dyskinesie sein. Prof. Fischer erklärt sie als eine nicht epileptische Gehirnerkrankung, die episodisch auftritt und durch bestimmte Reize ausgelöst wird. Patienten mit dyskinetischem Anfall bleiben bei Bewusstsein. Sie speicheln nicht und zeigen keinen spontanen Kot- oder Urinabsatz.
Die genetische Veranlagung spielt auch bei der idiopathischen Epilepsie eine große Rolle. Prof. Fischer erinnert daran, dass einige Rassen wie Australian Shepherd, Border Collie, Deutscher und Belgischer Schäferhund, Boxer, Beagle, Labrador Retriever und Cane Corso prädisponiert sind. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung, bei der verschiedene Risikofaktoren als gemeinsame Auslöser eine Rolle spielen können, stehen Gentests für solche Rassen aber nicht zur Verfügung. Anders sieht es für seltene, monogen vererbte Epilepsien aus. So sind Gentests für die juvenile myoklonische Epilepsie des Rhodesian Ridgebacks und die neonatale Enzephalopathie der Jack Russell Terrier vorhanden.
Prof. Volk berichtet zudem von der Lafora-Epilepsie. Sie wird durch eine Genmutation ausgelöst, die zu einer Speicherkrankheit führt. Dabei können optische und akustische Reize zur Auslösung von epileptischen Anfällen (wie myoklonische epileptische Anfälle) führen. Ein Gentest steht u. a. für Rauhhaardackel, Basset und Beagle zur Verfügung.
Auf die Frage, ob Stress einen Anfall auslösen kann, berichtet Prof. Volk, dass bei epileptischen Hunden erhöhte Cortisolspiegel in Blut und Speichel nachgewiesen wurden. Er ist sich mit Prof. Fischer einig, dass stressinduzierte Anfälle am ehesten in der auf das Stressereignis folgenden Ruhephase gesehen werden. Ein geregelter Tagesablauf und Maßnahmen zur Stressreduktion z. B. während eines Klinikaufenthaltes seien aber sinnvoller als die (zeitweise) Verstärkung der antiepileptischen Therapie.
Ob ein Anfall einen Anfall auslösen kann?
Prof. Potschka beruhigt, dass ein einzelner klassischer Anfall vermutlich nicht zu einer Erhöhung der Anfallshäufigkeit führt. Anders kann es aber bei langer Anfallsdauer, Clusteranfällen oder einem Status epilepticus aussehen. Prof. Volk gibt als Definition für den Status epilepticus eine Anfallsdauer ab fünf Minuten an und definiert Clusteranfälle als das Auftreten von mehr als einem Anfall innerhalb von 24 Stunden. Prof. Bröer beantwortet die Frage danach, wann mit der medikamentellen Therapie begonnen wird. Auf ein Antiepileptikum eingestellt werden sollten Hunde mit zwei Anfällen in 6 Monaten, Katzen mit zwei Anfällen in 3-4 Monaten sowie jeder Patient nach einem Status epilepticus oder einer Cluster-Episode. Außerdem sollten auch Tiere behandelt werden, wenn die Anfälle länger oder schwerer werden, oder mit postiktalen Verhaltensänderungen wie zum Beispiel Aggressivität einhergehen.
Bei der Labordiagnostik legen Prof. Fischer und Prof. Volk Wert auf die Hämatologie und Biochemie. Es geht um den Ausschluss anderer Ursachen für epileptische Anfälle sowie die Detektion von möglicherweise im Hinblick auf die Therapie mit Antiepileptika relevanten Begleiterkrankungen. Es gibt keine typischen Marker für die Epilepsie im Blut, allerdings können nach einem Anfall die CK-Werte für etwa zwei Tage erhöht sein. Eine weiterführende Diagnostik mittels MRT (und Liquoruntersuchung) dient der Überprüfung struktureller Veränderungen oder Entzündungsprozesse im Gehirn. Sie sind insbesondere bei weniger typischer klinischer Präsentation und älteren Patienten (Hund über sechs Jahre, Katze über sieben Jahre) wichtig. Prof. Fischer betont, dass mit einer Therapie nicht bis zum Abschluss der vollständigen Diagnostik gewartet werden muss.
Gefragt nach der Rolle von Darm-Mikrobiom und Fütterung für die Epilepsie berichtet Prof. Potschka, dass die von den Mikroorganismen des Darms produzierten Stoffwechselprodukte (das Metabolom) einen Einfluss zu haben scheinen. Zudem konnten Studien einen Einfluss der Fütterung auf die Epilepsie und deren Therapierbarkeit nachweisen. Prof. Volk berichtet von guten Ergebnissen mit diätetisch eingesetzten mittelkettigen Fettsäuren (MCT).
Die Teilnehmer möchten wissen, welches das optimale Medikament zur Behandlung der Epilepsie ist. Prof. Bröer berichtet, dass Imepitoin und Phenobarbital in Studien eine relativ ähnliche Wirksamkeit gezeigt haben. Beide können auch miteinander kombiniert werden, wobei die Dosis der einzelnen Präparate dabei reduziert werden kann. Bei Patienten mit Clusteranfällen gilt hingegen Phenobarbital als Medikament der ersten Wahl. Als mögliches Add on kommt Kaliumbromid in Frage, welches wegen möglicher gastrointestinaler Nebenwirkungen am besten zweimal täglich mit dem Futter verabreicht wird.
Im Rahmen des Monitorings wird die Bestimmung von Plasmaspiegeln für Phenobarbital und Kaliumbromid genutzt. Prof. Bröer erklärt, dass dies für Phenobarbital ab zwei Wochen nach Therapiestart sinnvoll ist, während für Kaliumbromid eine Untersuchung frühestens drei Monate nach Beginn der Gabe aussagekräftige Werte liefert. Um schneller wirksame Plasmaspiegel zu erreichen, können sogenannte „Loading dose“-Protokolle genutzt werden; dies sollte aber wegen der höheren Gefahr von unerwünschten Wirkungen in einer Klinik erfolgen.
Natürlich darf auch die Katze in der Diskussion nicht zu kurz kommen. Prof. Volk beruhigt, dass Katzen nicht schwerer als Hunde krampfen, auch wenn es manchmal vielleicht dramatischer aussieht. Prof. Fischer verneint die Frage nach definierten Rasseprädispositionen, auch wenn es eine gewisse Häufung bei der Britisch Kurzhaar zu geben scheint. Prof. Bröer kommt auf die Therapie zu sprechen. Insgesamt ist die Studienlage bei der Katze sehr viel schlechter als beim Hund, generell lässt sich aber sagen, dass die Ansprache auf die zweimal tägliche Gabe von Phenobarbital bei Katzen im Allgemeinen sehr gut ist und Katzen zudem mit deutlich weniger Nebenwirkungen reagieren. Auch Imepitoin wird von Katzen gut vertragen und hat seine Wirkung. Eine absolute Kontraindikation besteht bei dieser Tierart für Kaliumbromid. Eine Besonderheit bei der Katze ist die limbische
Enzephalitis. Prof. Volk beschreibt hierfür symmetrische, fokale Anfälle, die mit Veränderungen im MRT im Bereich des Hypocampus und Befunden im Liquor einhergehen. Typisch seien Serienanfälle, Verhaltensänderungen und die Nicht-Ansprache auf eine antiepileptische Therapie. Eine Steroidtherapie hingegen kann wirksam sein. Die Teilnehmer möchten noch etwas zu felinen audiogenen Reflexanfällen (oft auch als „Birma-Epilepsie“ bezeichnet) wissen. Prof. Fischer führt aus, dass es sich um myoklonische Anfälle handelt, die als heftige, durch auditive Stimuli ausgelöste, elektroschockartige Zuckungen besonders bei alten Katzen (nicht nur der Rasse Birma) vorkommen.
Wir bedanken uns bei den Experten für das Teilen Ihres umfangreichen Wissens!
Die Experten sprechen von einem genetischen Hintergrund und Rasseprädispositionen. Für einige Epilepsieformen stehen inzwischen Gentests zur Verfügung, z. B. für die Lafora-Epilepsie bei verschiedenen Rassen, die juvenile Epilepsie beim Lagotto Romagnolo, die juvenile myoklonische Epilepsie beim Rhodesian Ridgeback, sowie die juvenile Enzephalopathie beim Parson und Jack Russel Terrier. Auch andere Anfallsleiden können ihre Ursache in Veränderungen bestimmter Gene haben. Beispielhaft zu nennen wären Bewegungsstörungen wie das Episodic Falling des Cavalier King Charles Spaniels, Enzephalopathien wie die nekrotisierende Meningoenzephalitis beim Mops, Speicherkrankheiten wie die neuronale Ceroidlipofuszinose, die bei verschiedenen Rassen vorkommen kann und die Narkolepsie bei Dackel, Dobermann und Labrador. Die vollständige Liste dieser mittels Gentests zu identifizierenden Erkrankungen und ihrer Symptome finden Sie auf unserem Laboklin Spotlight zu Anfallsleiden beim Hund.
Dr. Jennifer von Luckner,
Dr. Angelika Drensler