Die Hypothyreose beim Hund gilt als klassische Endokrinopathie mit typischen klinischen Manifestationen. Trotz dieser vermeintlich klaren Symptomatik stellt ihre korrekte Diagnose eine erhebliche Herausforderung dar. Zahlreiche retrospektive Studien belegen, dass bis zu 70 % der mit Levothyroxin (L-Thyroxin) therapierten Hunde keine Hypothyreose aufweisen. Eine erhebliche Diskrepanz zwischen Diagnoserate und tatsächlicher Prävalenz (geschätzt 0,07–0,23 %) verweist auf die Notwendigkeit einer differenzierteren Diagnostik.
Non-thyroidal illness (NTI), Medikamenteneinflüsse und methodenbedingte Fehlinterpretationen er- schweren die korrekte Diagnosestellung.
Eine unkritische Therapieeinleitung mit L-Thyroxin birgt die Gefahr, relevante Grunderkrankungen zu übersehen und die metabolische Last unnötig zu erhöhen. Bei gleichzeitiger Herzerkrankung oder unbehandeltem/nicht erkanntem Hypoadrenokortizismus kann dies zur Dekompensation führen und ist potenziell fatal.
In dieser diagnostischen Grauzone eröffnen neue Ansätze wie die Bestimmung des reversen T3 (rT3) und die Analyse relevanter Parameter mittels Flüssigkeitschromatographie mit anschließender Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) wert- volle zusätzliche Möglichkeiten.
Grundlagen der Schilddrüsenphysiologie und -diagnostik
Die Schilddrüsenfunktion wird durch das komplexe Zusammenspiel der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse reguliert. TRH aus dem Hypothalamus stimuliert die TSH-Sekretion in der Hypophyse, die wiederum die Schilddrüse zur Synthese und Sekretion von Schilddrüsenhormonen (vorrangig Thyroxin (T4)) anregt. T4 liegt im Serum zu > 99 % proteingebunden vor (= Gesamt-T4).
Nur die freie Fraktion (fT4) wird in die Zellen aufgenommen. Dort wird fT4 durch 5′-Deiodierung in das auf Zellebene wirksame Hormon T3 umgewandelt. Alternativ kann es zur Bildung des biologisch inaktiven reversen T3 kommen. Dies dient vermutlich der zellulären Regulation und Vermeidung einer Überversorgung mit aktivem T3.
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Abb. 1: Graphische Darstellung der Metabolisierung von fT4 innerhalb der Zielzelle zu T3 und rT3
Bildquelle: J. von Luckner
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Abb. 2: Diagnostischer Leitfaden für rT3
Bildquelle: Niklas Wiesner
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Abb. 3: Initiale Abklärung einer reduzierten T4-Konzentration im Blut
Bildquelle: J. von Luckner
Die diagnostische Falle: NTI und methodische Limitierungen
Im typischen Fall basiert die Diagnose einer Hypothyreose beim Hund auf der Kombination von passenden anamnestischen, klinischen, hämatologischen und biochemischen Befunden mit einer T4-Konzentration unterhalb des Referenzbereiches bei gleichzeitig erhöhtem TSH.
Allerdings ist diese Situation nicht in allen Fällen, in denen ein Hypothyreose-Verdacht besteht, gegeben. Viele Erkrankungen führen sekundär zu einer Suppression der Schilddrüsenhormon-Konzentrationen, ohne dass eine funktionelle und/oder strukturelle Schilddrüsenveränderung vorliegt. Dieses euthyreote Krankheitsbild („NTI”) ist durch niedrige T4- und/oder fT4-Konzentrationen bei normalem TSH gekennzeichnet. Die Interpretation solcher Konstellationen ist ohne weiterführende Diagnostik problematisch.
Zusätzliche Herausforderungen entstehen durch rassespezifisch niedrigere Iodothyronin-Konzentrationen (z. B. bei Greyhounds, Basenjis) sowie durch Störeinflüsse von Bindungsproteinen oder Autoantikörpern (Thyreoglobulin-, T3- und T4- Autoantikörper) auf die in der Routine verwendeten immunologischen Testsysteme. Auch diverse Medikamente (z. B. Glukokortikoide, Phenobarbital, Sulfonamide) haben einen Einfluss auf die Schilddrüsenparameter.
LC-MS/MS: eine mögliche neue Referenzmethode
Die LC-MS/MS hat sich als hochpräzises Analyseverfahren etabliert. Im Gegensatz zu immunologischen Testsystemen erlaubt die LC-MS/MS eine direkte und spezifische Quantifizierung von T4, T3 und rT3 ohne Interferenzen durch Autoantikörper oder Medikamente. Dies macht sie besonders wertvoll in diagnostisch schwierigen Fällen. Während z. B. immunologische Tests unter dem Einfluss von Thyreoglobulin-Autoantikörpern falsch niedrige oder auch falsch hohe Ergebnisse produzieren können, liefert die LC-MS/MS ein verlässliches Bild der tatsächlichen Hormonkonzentration.
Bei Laboklin wurde eine Methode zur Bestimmung von T4, T3 und rT3 mittels LC-MS/MS für die Veterinärmedizin im Rahmen einer Dissertation etabliert und validiert. Sie erlaubt insbesondere bei unklaren Konstellationen eine hochspezifische Diagnostik.
Auch als verlässliche Option im Rahmen der Therapiekontrolle oder bei Hypothyreose-Verdacht trotz einer T4-Konzentration im Normbereich kann sie hilfreich sein. Beim Umgang mit den mittels LC-MS/MS gemessenen Parametern T3 und T4 müssen die methodenspezifischen Referenzintervalle beachtet werden. Sie weichen von denen mit anderen Methoden gemessenen ab.
Reverses T3 (rT3): Differenzierung von NTI und Hypothyreose
rT3 wird vorrangig dann gebildet, wenn ein Überangebot an T4 vorliegt oder eine Umwandlung in aktives T3 vermindert erfolgen soll. Bei einer Hypothyreose steht kaum T4 für die Konversion zur Verfügung – rT3 ist daher reduziert. Eine NTI führt hingegen zu unveränderten oder erhöhten rT3-Konzentrationen: Es steht an sich ausreichend T4 zur Verfügung, aber der Bedarf an T3 ist zeitgleich deutlich reduziert (Abb. 1).
Erste Studien belegen die diagnostische Wertigkeit des Parameters:
- rT3 < 50 pg/ml bei gleichzeitig niedrigem T4 spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine
- rT3 > 109 pg/ml macht eine Hypothyreose sehr unwahrscheinlich, auch wenn T4 reduziert ist (Abb. 2).
Indikation
Der Parameter ist besonders wertvoll, wenn eine niedrige Konzentration für T4 oder fT4 vorliegt, aber keine erhöhte TSH-Konzentration vorhanden ist, die den Verdacht einer Hypothyreose bestätigt. Dies kann bei 20–30 % der Patienten mit Hypothyreose der Fall sein, zeigt aber häufig eher eine NTI an.
Bisherige Erfahrungen mit dem Parameter
Eine erste Multicenter-Studie zu rT3 wurde 2024 auf einem internationalen Kongress (ECVIM) vorgestellt. In der Studie konnten gesunde Hunde, Hunde mit Hypothyreose und solche, deren niedrige T4-Konzentrationen durch eine NTI ausgelöst wurden, sicher voneinander differenziert werden. Ein Cut-Off von 50 pg/ml wurde dabei als sehr spezifisch für das Vorliegen einer Hypothyreose identifiziert. Konzentrationen über 109 pg/ml waren nicht vereinbar mit einer Hypothyreose. Dazwischen lag ein Graubereich. Zur Etablierung eines Referenzintervalls für das rT3 wurde bei Laboklin eine Studie mit einer größeren Studienpopulation an klinisch unauffälligen, euthyreoten Hunden durchgeführt. Hier konnte ein Referenzintervall von 109–533 pg/ml ermittelt werden.
Zusätzlich zu den durchgeführten Studien liegen mittlerweile auch sehr wertvolle Feldinformationen vor.
In der Zeit von März 2024 bis Juni 2025 wurde der Parameter rT3 3052 Mal bei Laboklin angefordert. Davon in 1887 Fällen als Einzelparameter und 1165 im Rahmen eines Profils oder als Add-on zu initial eingeleiteten Schilddrüsen-Parametern.
Von den 491 Fällen, bei denen eine rT3-Konzentration < 50 pg/ml vorlag, wurde bei 289 auch ein T4 in unserem Labor bestimmt. 92 % der untersuchten Hunde wiesen dabei eine T4-Konzentration unterhalb des Referenzbereiches auf. Dies bestätigt den engen funktionellen Zusammenhang zwischen reversem Triiodthyronin und Thyroxin.
Nur in 22 Fällen (7,6 %) lag bei einem rT3 < 50 pg/ml ein in der Referenz befindliches T4 vor. Dieses Phänomen kann primär durch die Anfälligkeiten der in der Routine verwendeten immunologischen T4-Assays (z. B. Immulite 2000, Siemens, Deutschland) erklärt werden. Fälschlich erhöhte Messungen des T4 entstehen dabei durch Autoantikörper sowie mangelhafte Probenqualität (hämolytische/lipämische Proben). Diese Störfaktoren sind bekannt und können in der Routinediagnostik für Probleme bei der Interpretation dieser Ergebnisse sorgen.
rT3 war bei 570 Hunden mit gleichzeitig niedrigem T4 deutlich in der Norm (> 109 pg/ml). Solch ein Ergebnis spricht nicht für das Vorliegen einer Hypothyreose, sondern für eine NTI. Natürlich kann man anhand von Einzelmessungen selbst spezifischer Laborparameter nicht endgültig schließen, dass diese Hunde tatsächlich nicht an einer Hypothyreose litten, sondern eine NTI vorlag. In allen Fällen, die wir im persönlichen Gespräch mit den behandelnden Tierärzten aufarbeiten konnten, hat sich die Einschätzung allerdings bestätigt.
Die bisherigen Studien und klinischen Erfahrungen deuten auf eine kleine diagnostische Revolution hin. Der Parameter scheint zu halten, was er verspricht. Er ist als ein weiteres Werkzeug in der Werkzeugkiste „Hypothyreose“ anzusehen. rT3 ist kein initialer Screening-Parameter, sondern ein Add-on zum vorhandenen Schilddrüsen-Profil. Er gehört entsprechend im Kontext mit der Klinik als auch den anderen Schilddrüsenwerten interpretiert (Abb. 3).
In der weiterführenden Diagnostik steht die Bestimmung der Thyreoglobulin-, T3- und T4-Autoantikörper über erweiterte Schilddrüsenprofile zur Verfügung. Eine weitere Option ist die Messung der T3- und T4-Konzentration mittels Flüssigkeitschromatographie mit anschließender Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS), die durch die Störfaktoren (Probenqualität, Autoantikörper) nicht beeinflusst wird, wodurch spezifischere und präzisere Ergebnisse möglich sind.
Fazit
Die präzise Diagnose der kaninen Hypothyreose erfordert mehr als die alleinige Betrachtung von T4 und TSH. Besonders in Zweifelsfällen liefern die rT3-Messung sowie LC-MS/MS-basierte Analysen entscheidende Informationen.
Dr. Jennifer von Luckner, Niklas Wiesner, Dr. Ruth Klein
Unsere Leistungen rund um Hypothyreose
- T4, TSH, fT4
- T3, fT3
- rT3
- Schilddrüsenprofil (T4, fT4, T3, fT3, TSH, ATG, T4-AK, T3-AK)
- Hypothyreose/NTI-Profil (T4, fT4, reverses T3, TSH)
- Schilddrüsen-Monitoring (T4, TSH, Kreatinin, SDMA, ALT, AP, Troponin I)
- Schilddrüse Massenspektrometrie (T4, T3, rT3 mittels HPLC-MS/MS)






