Im tierärztlichen Alltag begegnen uns auch hin und wieder außergewöhnliche Patienten: Von Frühling bis Herbst werden gelegentlich Wildigel (Europäische Braunbrustigel, Erinaceus europaeus) in der Tierarztpraxis vorgestellt. Auch werden in Deutschland vermehrt Afrikanische Weißbauchigel (Atelerix albiventris) als exotische Haustiere gehalten. Beide Spezies gehören derselben systematischen Familie der Stacheligel (Erinaceinae) an, sind aber verschiedenen Unterfamilien zuzuordnen. Hieraus, aber vor allem aus den verschiedenen Lebensbedingungen ergeben sich für den behandelnden Tierarzt oft unterschiedliche Fragestellungen. Nachfolgend werden beide Igelspezies und deren häufigste Erkrankungen kurz vorgestellt.
Europäischer Braunbrustigel
Die Europäischen Braunbrustigel (EBI) sind in Europa weitverbreitete Wildtiere. Sie leben als Einzelgänger, sind dämmerungs- und nachtaktiv und halten Winterschlaf (witterungsabhängig von November bis März/April). Sie ernähren sich vorwiegend von Insekten (Käfer, Larven etc.). Durch den zunehmenden Verlust ihres natürlichen Lebensraumes (Böschungen, Waldränder) und durch starken Straßenverkehr erreichen nur wenige EBI ein hohes Alter, das bei 7-8 Jahren liegen kann. EBI stehen unter Naturschutz und sind in einigen Bundesländern als gefährdete Tierart eingestuft. Eine Haltung gesunder EBI in menschlicher Obhut ist somit verboten. Die medizinische Versorgung und ggf. eine temporäre Unterbringung zur Pflege verletzter, kranker oder hilfsbedürftiger Igel sollte fachkundigen, erfahrenen Personen vorbehalten sein. Zahlreiche Vereine und Pflegestationen haben sich dies zur Aufgabe gemacht und können Hilfestellungen geben. Ziel jeder Behandlung muss die Rehabilitation und Wiederauswilderung des Patienten sein. Hinweise zur notwendigen Erstversorgung, Therapievorschläge und Dosierungen sind in der einschlägigen Literatur (s. u.) nachzulesen.
Ein häufiger Vorstellungsgrund von EBI sind Verletzungen, die in der Regel durch vielfältige traumatische Einwirkungen (Verletzungen durch Autos, Gartengeräte, Hundebisse etc.) bedingt sind. Die chirurgische oder konservative Versorgung von Wunden und Frakturen ist in Analogie zu anderen kleinen Säugetieren möglich, kann jedoch durch starke Verschmutzung, Infektionen oder Fliegenmadenbefall (Myasis) erschwert sein. Wichtig ist eine gleichzeitige Schmerzmedikation und falls erforderlich eine Antibiose.
Wildigel leiden oft an starken Ekto- und Endoparasitosen, die insbesondere bei kranken und schwachen Tieren eine Behandlung erfordern. Dabei finden sich regelmäßig Flöhe (Hunde-, Katzen- und Igelfloh), Zecken (v.a. Ixodes spp.) und Milben (oft Caparinia spp., Sarcoptes-, Notoedres- und Chorioptesmilben, Demodex erinacei). Lungenwürmer (Crenosoma striatum, Abb. 1) sind die häufigsten Endoparasiten bei EBI. Haarwurmbefall von Lunge und Darm (Capillaria spp.) sowie intestinale Infektionen mit Helminthen (Brachylaemus erinacei, Hymenolepsis erinacei, Kratzwürmer) und Protozoen (Isospora spp., Cryptosporidia spp. Giardien) kommen ebenfalls vor. Eine antiparasitäre Therapie muss bei EBI vorsichtig erfolgen, da sie bei Tieren mit schlechtem Allgemeinzustand oder bei Überdosierung einiger Präparate (insbesondere SpotOn-Präparate) zum Tod des Patienten führen kann.
Hauterkrankungen können bei EBI primär sein oder als Begleiterscheinungen anderer Krankheiten auftreten. Dermatitiden im Zusammenhang mit Mykosen (z.B. Trichophyton erinacei, Microsporum spp.) treten häufiger auf. Es zeigen sich weißliche Beläge v.a. an Ohren und Nase. Die Therapie ist oft langwierig. Ein ähnliches klinisches Bild (Borken und Schuppen im Kopfbereich) zeigt sich bei bakteriell bedingten Ekzemen. Chronische Hauterkrankungen können zu einem partiellen oder kompletten Stachelverlust (‚Nacktigel‘) führen. Ein Vitamin- A-, Zink- oder Fettsäuremangel sollte differentialdiagnostisch berücksichtigt werden.
Über Neoplasien bei EBI ist insgesamt wenig bekannt. Dies liegt sicher auch daran, dass es sich um eine wildlebende Spezies handelt und viele Tiere durch äußere Umstände in jüngerem Alter zu Tode kommen. Mehrere Fälle von Mammatumoren wurden in einer Studie genauer untersucht. Interessanterweise waren alle diese Mammatumore maligne.
Afrikanischer Weißbauchigel
Die Afrikanischen Weißbauchigel (WBI) erfreuen sich zunehmender Beliebtheit als exotische Haustiere. Sie werden in menschlicher Obhut etwa 4 bis 6, in seltenen Fällen auch 8 bis 10 Jahre alt. WBI sind nachtaktiv und in menschlicher Haltung ganzjährig aktiv. Sie sollten einzeln gehalten werden, bleiben oft scheu und suchen wenig menschlichen Kontakt. Die Haltungsbedingungen sind anspruchsvoll und erfordern ausreichend Platz, Beschäftigungsmöglichkeiten und Auslauf. WBI sind Insektivore und benötigen eine ausgewogene Diät, da sie bei suboptimaler Fütterung zu Übergewicht neigen.
Wie bei anderen exotischen Haustieren ist eine ausführliche Anamnese bei Erstvorstellung des Patienten sinnvoll. Hierbei sollten neben dem Vorstellungsgrund auch Verhalten des Patienten, Haltungsbedingungen und Fütterung abgefragt werden und ggf. sollte eine ausführliche Beratung zur Optimierung der Haltungsumstände durch einen kundigen Tierarzt erfolgen.
Übergewicht stellt ein häufiges Problem dar. Umstellung auf eine proteinreiche, fettarme Fütterung und Animation zu mehr Bewegung und Erkundungsverhalten (enviromental enrichment) sind notwendige Gegenmaßnahmen.
Gingivitiden und hyperplastische Veränderungen der Maulhöhle (ähnlich den Epuliden bei anderen Spezies, siehe Abb. 2) kommen bei WBI häufiger vor. Die Ursache ist unklar, ein Zusammenhang mit einer suboptimalen Fütterung wird vermutet.
Bei WBI sind Enteritiden u.a. im Zusammenhang mit Salmonelleninfektionen beschrieben. Auch können WBI asymptomatische Träger von Salmonellen sein, was insbesondere hinsichtlich des zoonotischen Potentials dieser Erreger bei Kontakt mit Kindern, Schwangeren, alten und immunsupprimierten Menschen beachtet werden muss. Differentialdiagnostisch kommen eine Vielzahl anderer infektiöser Ursachen (z.B. Candidainfektionen, Endoparasitosen) und nicht-infektiöser Ursachen (Fütterungsfehler, Obstruktionen durch Fremdkörper, Neoplasien) in Betracht.
Auch Hauterkrankungen kommen bei WBI gelegentlich vor. Ektoparasiten (Milben, Flöhe) können eine Rolle spielen und der Patient sollte regelmäßig auf Ektoparasitosen kontrolliert werden. Sekundäre bakterielle Infektionen (oft Staphylococcus spp.) und Dermatophytosen (Trichophyton spp., Microsporum spp.) sind beschrieben. Auch Abszesse können auftreten. Chronische Hauterkrankungen können zu einem herdförmigen oder kompletten Stachelverlust führen. Es gibt in der Literatur einzelne Fallberichte über allergische Dermatitiden, einen Pemphigus foliaceus und Hautveränderungen bei einem Hyperadrenocortizismus (adrenale Neoplasie).
Das sog. wobbly hedgehog syndrome ist eine neurodegenerative, progressiv verlaufende Erkrankung, die bei WBI seit Beginn der 1990er Jahre vermehrt beschrieben ist. Die WBI zeigen zuerst eine Unfähigkeit sich einzurollen, Ataxien, schwankenden Gang und Koordinationsstörungen und im weiteren Verlauf Tremor, Krämpfe, Selbstverletzungen, Muskelatrophien und Paralysen (oft Vordergliedmaßen betroffen). Histologisch finden sich Läsionen der weißen Substanz (Axon- und Myelinscheidendegenerationen, spongiöse Myelinopathie) des ZNS. Die Ursache ist noch immer unklar, es wird allerdings eine familiäre Häufung berichtet.
Differentialdiagnostisch führen auch Traumata, Toxine, Mangelernährung und Bandscheibenerkrankungen (intervertebral disc disease) zu neurologischen Symptomen.
Bei WBI sind vergleichsweise häufig Neoplasien beschrieben. In der Literatur werden Häufigkeiten von 32 bis 52 % berichtet, bei denen es sich mehrheitlich um maligne Neoplasien (etwa 85 %) handelt. Insgesamt sind jedoch bei WBI (v. a. im Vergleich zu anderen Haustieren wie Hunden und Katzen) nur kleine Fallzahlen untersucht. Alle Organsysteme können betroffen sein und die klinische Symptomatik kann entsprechend variieren.
Es finden sich bei WBI häufig Mammatumore (Abb. 3). Insbesondere weibliche Tiere im Alter über 3 Jahre sind betroffen. Ein hoher Prozentsatz der Neoplasien ist maligne (89 % der beschriebenen Fälle). Eine chirurgische Entfernung und Ovariohysterektomie wird empfohlen, zeigt aber sehr variable Verläufe. Rezidive scheinen häufig vorzukommen.
Maligne Lymphome sind bei WBI ebenfalls häufiger beschrieben und treten u.a. im Gastrointestinaltrakt auf.
Weiterhin kommen bei WBI ab einem Alter von 2 Jahren vermehrt orale Plattenepithelkarzinome vor. Diese führen oft zu Destruktionen des angrenzenden Knochens und zeigen sich klinisch durch lockere Zähne, Zahnverluste, Zahnfleisch- und Kieferschwellung sowie Umfangsvermehrungen. Eine Histologie von Bioptaten ist diagnostisch besser geeignet als eine Zytologie. Bildgebende Untersuchungen (v.a. Röntgen des Kopfes) sind zusätzlich hilfreich, um eine Beteiligung von knöchernen Strukturen abzuklären. Bis jetzt sind keine effizienten Therapien für Plattenepithelkarzinome bei WBI beschrieben.
Insgesamt empfiehlt es sich, bei einem Weißbauchigel eine frühzeitige und gezielte Diagnostik einzuleiten, wenn ein klinischer Neoplasieverdacht besteht. Dies ermöglicht eine bessere prognostische Einschätzung und frühestmögliche Therapieversuche.
Fazit
Igel gehören zu den selteneren Patienten in der tierärztlichen Praxis und können eine Herausforderung darstellen. Je nachdem, ob es sich um einheimische Wildigel oder um exotische Haustiere handelt, ergeben sich verschiedene diagnostische Fragestellungen, Behandlungsschwerpunkte und Therapieoptionen.
Bei der Versorgung von Wildtieren können Auffang- und Pflegestationen ggf. hilfreiche Ansprechpartner sein. Bei Erkrankungen von Afrikanischen Weißbauchigeln gibt Spezialliteratur Hinweise und Hilfestellungen.
10 / 2018
LABOKLIN Aktuell