Physiologie
Cortisol, welches in den Nebennieren produziert wird, ist in physiologischen Konzentrationen absolut lebensnotwendig. Cortisol reguliert unter anderem den Metabolismus durch Erhöhung der Glykoneogenese, erhöht die Gefäßreaktivität, reguliert den Wasser- und Elektrolythaushalt und es hat eine anti-inflammatorische Wirkung.
Damit beim gesunden Hund nicht zu viel Cortisol produziert wird, wird die Produktion durch die Hypothalamus-Hypophysen-Achse reguliert. Der Hypothalamus sezerniert bei Bedarf von Cortisol CRH (corticotropes Hormon), welches den Hypothalamus zur Freisetzung von ACTH (Adrenocortico-tropes Hormon) anreizt. ACTH führt an den Nebennieren dann zu einer gesteigerten Cortisol-Sekretion. Die Hypothalamus-Hypophysen-Achse unterliegt einer Kontrolle durch einen negativen Feedback-Loop, welcher sicherstellt, dass nicht zu viel Cortisol produziert wird. So hemmt Cortisol die weitere Ausschüttung von CRH und ACTH.
Abb. 1
Pathophysiologie
Eine Überproduktion von Cortisol führt zum Hyperadrenokortizismus, welcher auch Morbus Cushing genannt wird.
Er entsteht primär durch Hypophysentumore (80-85%), bei dem Micro- (85%) oder Macro-Adenome (15%) unkontrolliert ACTH ausschütten, welches dann in den Nebennieren zur Cortisol-Sekretion führt. Bei diesen Tieren ist Cortisol erhöht und das ACTH ist normal oder erhöht:
Abb. 2
Die verbleibenden 15-20% werden durch, meist einseitige und entweder gut- oder bösartige Nebennierentumoren verursacht, welche unkontrolliert Cortisol ausschütten. Bei diesen Tieren ist Cortisol erhöht und das ACTH ist erniedrigt:
Abb. 3
Hunde mit hypophysärem Hyperadreno-kortizismus sind 2 – 16 Jahre alt (Durchschnitt 7 – 9) und sind von beliebigem Geschlecht oder Rasse, auch wenn kleinere Hunde und Pudel, Dackel und Terrier (Yorkshire, Jack Russell, Staffordshire Bull) vermehrt betroffen sind.
Hunde mit adrenalem Hyperadrenokortizismus sind älter: 6 – 16 Jahre alt (11 – 12). Vermehrt betroffen sind vor allem große Rassen (>20kg).
Die typische klinische Symptomatik in beiden Fällen wird verursacht durch erhöhte Cortisol-Konzentrationen im Blut. Dieselbe klinische Symptomatik kann übrigens auch bei Hunden auftreten, die mit exogenen Steroiden behandelt werden.
Diagnose
Morbus Cushing beim Hund ist eine klinische Diagnose. Die folgenden Symptome treten beim Hund mit Hyperadrenokortizismus auf (Peterson, 300 Hunde):
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Polyurie/ Polydipsie 82%
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Hängebauch 67%
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Hepatomegalie 67%
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Alopezie 63%
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Lethargie 62%
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Polyphagie 57%
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Muskelschwäche 57%
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Anöstrus 54%
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Übergewicht 47%
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Muskelatrophie 35%
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Komedonen 34%
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Hecheln 31%
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Hodenatrophie 29%
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Hyperpigmentation 23%
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Calcinosis cutis (pathognomonisch) 8%
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Facialisparese 7%
Besteht nun beim Patienten der klinische Verdacht auf Morbus Cushing, sollten zunächst unspezifische Tests durchgeführt werden. Hilfreich dabei sind ein Chemogramm, Hämatologie und eine Urinuntersuchung. Die folgenden Befunde sind zu erwarten (Peterson, 300 Hunde)
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ALP (AP) ↑ 86%
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Eosinopenie 84%
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ALT ↑ 53%
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Hypercholesterinämie 48%
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Hyperglykämie 45%
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Hypophosphatämie 38%
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Totales CO2 ↑ 33%
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Leukozytose 32%
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Erythrozytose 17%
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Lymphopenie 14%
Fast alle Hunde haben außerdem eine erniedrigte spezifische Harndichte und rezidivierende Harnwegsinfektionen. Er-härtet sich klinisch der Verdacht auf Hyperadrenokortizismus, muss dieser Verdacht mit spezifischen Tests bestätigt oder ausgeschlossen werden. Die verschiedenen Tests werden im Folgenden diskutiert:
Tests zur Diagnose
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Urin Cortisol/ Kreatinin-Quotient (Screening)
- Sammlung von Morgenurin.
Dieser Test hat eine sehr hohe Sensitivität (95%), d.h. wenn der Quotient nicht erhöht ist, kann man sich sehr sicher sein, dass der Hund keinen Hyperadrenokortizismus hat. Auf der anderen Seite ist die Spezifität schlecht; bis zu 76% aller positiv getesteten Tiere haben keinen Morbus Cushing. Empfohlen wird diese Untersuchung, wenn Morbus Cushing eher unwahrscheinlich ist und man versucht, diese Diagnose auszuschließen. Im positiven Fall ist ein Bestätigungstest erforderlich.
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Low-Dose-Dexamethason-Suppressionstest
- Erste Blutentnahme, Basalwert.
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Dexamethason Applikation 0,01 – 0,02 mg/kg i.v. oder i.m.
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Zweite Blutentnahme 3 – 6 h nach Dexamethason-Applikation.
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Dritte Blutentnahme 8 h nach Dexamethason-Applikation.
Auch bei diesem Test ist die Sensitivität sehr hoch (95%), d.h. wenn das Testergebnis negativ ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Hund an Morbus Cushing leidet. Falsch negative Testergebnisse werden vor allem durch Fehler beim Kalkulieren der Dexamethason-Dosis verursacht. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass bei kleineren Hunden das Dexamethason auf jeden Fall vor der Verabreichung verdünnt werden sollte. Weiter von Vorteil ist, dass man in ca. 60% der positiven Ergebnisse den hypophysären von einem adrenalen Hyperadrenokortizismus unterscheiden kann.
Um die Zahl der falsch-positiven Testergebnisse so gering wie möglich zu halten, wird im Consensus Statement „Diagnosis of Spontaneous Canine Hyperadrenocorticism: 2012 ACVIM Consensus Statement Small Animal)“ (J Vet Intern Med 2013; 27: 1292 – 1304) empfohlen, nur Tiere zu testen, die mindestens drei der zuvor beschriebenen Symptome zeigen und eine deutlich erhöhte alkalische Phosphatase aufweisen. Wird dieser Ratschlag befolgt, d.h. dass man nur Tiere testet, bei denen es klinisch wahrscheinlich ist, dass ein Morbus Cushing vorliegt, wird dieser Test als der „Gold-Standard“ zur Diagnose von Morbus Cushing angesehen. Der Low-Dose-Dexamethason-Suppressionstest kann nicht zur Diagnose des iatrogenen Morbus Cushing benutzt werden.
1. Probe (Basal) | 2. Probe (3 – 6 h) | 3. Probe (8 h) | |
Gesund | normal oder erhöht | <10 ng/ml | <10 ng/ml |
Hypophysärer Cushing | normal oder erhöht | weniger als 50% des Basalwertes | >10 ng/ml |
Cushing, nicht differenzierbar | normal oder erhöht | nur geringe Suppression | >10 ng/ml |
- ACTH-Stimulationstest
- Erste Blutentnahme, Basalwert.
- Injektion von 5 μg/kg ACTH (Synacthen®) v. (alternativ kann auch die ganze Ampulle i.v. oder i.m. gegeben werden (0,25 mg)). Übrig gebliebenes Synacthen® kann für 6 Monate in einem Plastikgefäß (z.B. in einer Spritze) eingefroren werden.
- Zweite Blutentnahme eine Stunde nach ACTH-Applikation.
Der Vorteil des ACTH-Stimulationstests ist, dass er nur eine Stunde dauert. Er ist außerdem der Test der Wahl bei Verdacht auf iatrogenen Morbus Cushing oder als Therapiekontrolle. Die Spezifität des ACTH-Stimulationstests ist vergleichbar mit der des Low-Dose-Dexamethason-Supressionstests, d.h. eine Vorauswahl der zu testenden Tiere ist sehr wichtig. Der größte Nachteil im Vergleich zum Low-Dose-Dexamethason-Suppressionstest ist die deutlich geringere Sensitivität (80%) – falsch-negative Ergebnisse treten also recht häufig auf und ein negatives Ergebnis kann nicht wie bei den anderen zuvor beschriebenen Tests als Ausschluss interpretiert werden. Mit Hilfe des ACTH-Stimulationstests kann man außerdem nicht den hypophysären von einem adrenalen Hyperadrenokortizismus unterscheiden.
1. Probe (Basal) | 2. Probe (1 h) | |
Gesund | normal oder erhöht | <200 ng/ml |
Cushing, nicht differenzierbar | normal oder erhöht | >200 ng/ml |
- Urin Cortisol/Kreatinin-Quotient (Diagnose)
- Sammlung von Morgenurin am ersten Tag (erste Probe).
- Sammlung von Morgenurin am zweiten Tag (zweite Probe).
- Dexamethason-Applikation am zweiten Tag oral, 3 x täglich 0,1 mg/kg Körpergewicht über den Tag verteilt.
- Sammlung von Morgenurin am dritten Tag (dritte Probe).
Dieser Test hat wohl im Vergleich zu den anderen Tests die höchste Sensitivität, aber die Spezifität ist gering. Die erste und zweite Probe dienen zur Diagnose des Hyperadrenokortizismus, anhand des dritten Quotienten kann bei einigen Hunden zwischen einem hypophysären und einem adrenalen Morbus Cushing unterschieden werden.
1. und 2. Quotient | 3. Quotient | |
Gesund | normal >15×10-6 | |
Hypophysärer Cushing | erhöht >25×10-6 | <50% vom Mittelwert der ersten beiden Proben |
Cushing, nicht differenzierbar | erhöht >25×10-6 | >50% vom Mittelwert der ersten beiden Proben |
Fragliches Ergebnis | 15×10-6 – 25×10-6 |
Tests zur Differenzierung
Ist die Diagnose Cushing-Syndrom gestellt, können die folgenden Tests dabei helfen, den hypophysären von einem adrenalen Hyperadrenokortizismus zu unterscheiden:
- Endogenes ACTH
Die Messung des endogenen ACTH dient ausschließlich der Differenzierung und kann nicht zur Diagnose benutzt werden. Bei Hunden mit hypophysärem Hyperadrenokortizismus ist das endogene ACTH erhöht, bei Hunden mit adrenalem Hyperadrenokortizismus ist es entweder erniedrigt oder normal.
Nach Probenentnahme in ein Kunststoff-Röhrchen (ACTH bindet an Glas) muss die EDTA-Probe unmittelbar abzentrifugiert werden, bevor man das Plasma gekühlt zum Labor verschickt.
Endogenes ACTH | |
Hypophysärer Cushing | normal (6,0 – 58,0 pg/ml) oder erhöht (> 58,0 pg/ml) |
Adrenaler Cushing | erniedrigt (< 6,0 pg/ml) |
- High-Dose-Dexamethason- Suppressionstest
- Erste Blutentnahme, Basalwert.
- Dexamethason-Applikation 0,1 mg/kg v. oder i.m.
- Zweite Blutentnahme 4 h nach Dexamethason-Applikation.
Die Unterscheidung zwischen hypophysärem und adrenalem Hyperadrenokortizismus ist möglich, wenn die Cortisol-Konzentration in der zweiten Probe um mindestens 50% niedriger als in der Basal-Probe ist. Bei einer Suppression unter 50% kann mit Hilfe dieses Tests keine Differenzierung erfolgen.
1. Probe (Basal) | 2. Probe (4 h) | |
Hypophysärer Cushing | normal oder erhöht | weniger als 50% des Basalwertes |
Cushing, nicht differenzierbar | normal oder erhöht | nur geringe Suppression |
- Adrenaler Ultraschall
Beim hypophysären Hyperadrenokortizismus sind beide Nebennieren vergrößert, bei einem adrenalen Hyperadrenokortizismus ist eine Nebenniere vergrößert (durch einen Tumor) und die andere Nebenniere ist atrophiert.
Spezialfälle
- Diabetes und Morbus Cushing
Morbus Cushing kann die Ursache für schlechte glykämische Kontrolle sein. Die Diagnose in diesem Fall ist sehr schwierig. Es wird empfohlen, zuerst den Diabetes zu behandeln und erst dann auf Morbus Cushing zu untersuchen, wenn man einigermaßen gute glykämische Kontrolle besitzt. Der bevorzugte Test ist der Low-Dose-Dexamethason-Suppressionstest. Unkontrollierter Diabetes mellitus ist ein Hauptgrund für einen falsch-positiven Low-Dose-Dexamethason-Suppressionstest. In diesen Fällen sollte man vor allem der Klinik Augenmerk schenken.
- Morbus Cushing beim mit Phenobarbital behandelten epiletischen Hund
Als Nebenwirkung kann chronisch verabreichtes Phenobarbital dieselben klinischen und labordiagnostischen Befunde hervorrufen, wie man sie beim Morbus Cushing sieht. Es wird daher empfohlen, Phenobarbital für mindestens sechs Wochen abzusetzen, bevor man auf Morbus Cushing untersucht (Canine & Feline Endocrinology, Feldman and Nelson, 4th Edition). Imepitoin und Kaliumbromid können eingesetzt werden.
- Atypischer Morbus Cushing
Wenn ein Hund die typischen klinischen Symptome eines Morbus Cushing zeigt, aber alle spezifischen Tests negativ sind, sollte ein ACTH-Stimulationstest durchgeführt werden und 17-α-Hydroxyprogesteron gemessen werden. Bei positivem Ergebnis sollte eine Behandlung mit Trilostane (Vetoryl®) in Betracht gezogen werden. Auch hier sind falsch-positive Testergebnisse möglich.
Therapie
Das in Europa zugelassene Medikament ist Trilostane (Vetoryl®). Es hemmt reversibel die Hydroxysteroiddehydrogenase, ein Haupt-Enzym der Steroidbiosynthese. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass die End-Dosis, die benötigt wird, um den Morbus Cushing klinisch zu kontrollieren, signifikant niedriger ist, wenn man eine niedrige Anfangsdosis wählt (ECVIM 2012 und 2015). Diese kann dann bei Bedarf langsam erhöht werden. Der Hersteller empfiehlt 2,2 – 6,7 mg/kg einmal täglich mit Futter zu verabreichen. Unsere Empfehlung liegt bei einer Anfangsdosis von 1 – 2 mg/kg einmal täglich. Ca. 80% aller Tiere reicht eine einmal tägliche Gabe aus. Hunde mit Herzinsuffizienz oder Diabetes mellitus sollten jedoch immer mindestens zweimal täglich behandelt werden. Therapie-Kontrolluntersuchungen mittels ACTH-Stimulationstest sollten nach 10 Tagen, 4 Wochen, 12 Wochen und dann alle 3 Monate nach Therapiebeginn erfolgen, oder immer dann, wenn die Dosierung verändert wurde. Der ACTH- Stimulationstest muss 4 – 6 h nach Tabletteneingabe durchgeführt werden, wobei derzeit diskutiert wird, ob eine Basal-Cortisol-Messung 24 h nach Tablettengabe eventuell aussagekräftiger ist (Ramsey, ECVIM 2015).