Intoxikationen von Hunden und Katzen sind immer wieder Thema in der Praxis – sei es als akuter Notfall oder als unwahrscheinliche, aber mögliche Differentialdiagnose oder wegen des Verdachts der Aufnahme eines potentiellen Giftköders. Sowohl für die behandelnde Tierärztin oder den behandelnden Tierarzt, als auch die Tierbesitzerinnen und -besitzer beginnt hier häufig die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Häufige Ursachen und versteckte Gefahrenquellen in Haushalt, Garten und bei Spaziergängen
Hunde und Katzen können hier auf eine Vielzahl von Stoffen und Substanzen treffen, welche gefährlich sein können. Die Probleme lauern hier oft in der Unkenntnis der Besitzerinnen und Besitzer über die Risiken, die von Chemikalien, Pflanzen, Nahrungsmitteln oder ähnlichem ausgehen können. Dazu kommt, dass insbesondere Hunde gierige Fresser sein können (z. B. hastiges Verschlingen von Heruntergefallenem wie Medikamentenblister).
Oder es werden aus Langeweile Gegenstände durch Tiere zerbissen, welche dann gefährliche Stoffe freisetzen z. B. Spültabs, Wasch- oder Lösungsmittelbehälter, Tuben mit Klebstoff etc.
Gefahrstoffe im Haushalt und Garten – Reinigungs-, Wasch- und Lösemittel, Lacke und Farben, Säuren und Laugen, Schädlingsbekämpfungsmittel und alle anderen mit Gefahrstoffsymbolen gekennzeichneten Stoffe (hier besonders auf ätzend, reizend, Gewässergefährdung achten!) sollten so aufbewahrt und gesichert werden, dass es nicht zu einer versehentlichen Aufnahme oder Nutzung als Spielobjekt (hier insbesondere Gefahr bei Welpen und jungen Hunden) kommen kann. Ein häufiges Beispiel ist die Vergiftung durch Frostschutzmittel (z. B. Ethylenglykol), das aufgrund des süßen Geschmacks von Hunden und Katzen gerne aufgenommen wird. Mögliche Symptome einer Vergiftung durch Frostschutzmittel sind: Irritationen des Magen-Darm-Trakts sowie evtl. Vomitus durch direkten Effekt des Giftes. Nach Resorption können abhängig von der Plasmakonzentration neurologische Symptome wie Ataxie, ZNS-Depression, Krämpfe, rauschartige Zustände innerhalb von Minuten bis maximal wenigen Stunden auftreten.
Die wesentliche Toxizität entsteht beim Abbau von Frostschutzmitteln durch Abbauprodukte wie Oxalsäure. Die Nieren werden durch die Ausscheidung dieser stark belastet. Es besteht die Gefahr der Bildung von Calciumoxalat-Kristallen in den Tubuli, was zu schweren Nierenschäden bis hin zum Tod der Tiere führen kann. Wenige aufgenommene ml pro kg Körpergewicht können für schwere Schäden genügen, deshalb sollte bei bekannter Aufnahme, auch nur geringer Mengen, unbedingt die Nierenfunktion kritisch überwacht werden. Bei den Laborwerten treten im Laufe der Vergiftung eine metabolische Azidose, ansteigende Kreatinin-Werte und zunehmende Verschiebung anderer Nierenparameter hervor. Im Urin können Calciumoxalat-Kristalle auftreten und Hämat- und Proteinurie beobachtet werden. Das Tier muss stabilisiert und die Ausscheidung des Giftes durch die Niere ermöglicht werden, während die Nierengesundheit so gut wie möglich erhalten werden muss. Trinkalkohol konkurriert mit Frostschutzmitteln um den Abbau durch die Alkoholdehydrogenase und kann so die Bildung toxischer Metabolite vermindern, bis die Muttersubstanz ausgeschieden wurde. Es gibt Fallberichte, die einen erfolgreichen Einsatz in Praxen als Antidot beschreiben. Eine Dekontamination durch induzierten Vomitus ist kurz nach der Aufnahme noch ratsam, die Gabe von Aktivkohle hat keine Effekte auf Frostschutzmittel.
Giftpflanzen – Zier- und auch manche Nutzpflanzen können für Hunde und Katzen gefährlich sein. Besitzerinnen und Besitzer sollten sich über die Arten, die im Garten und in der Wohnung zur Dekoration stehen, informieren und diese gegebenenfalls abgeben oder so sichern, dass sie für Tiere nicht zugänglich sind. Oleander z. B., als gerne in Haus oder Garten kultivierte Zierpflanze, kommt nicht zufällig aus der Familie der so genannten „Hundsgiftgewächse“ – für Menschen unangenehm und reizend sind die enthaltenen Toxine für Hunde noch wesentlich gefährlicher. Giftpilze im Garten oder beim Freigang sind eher eine theoretische Gefahr und werden i. d. R. von Hunden und Katzen gemieden. Ob eine bekannte Toxizität für Haustiere vorliegt, kann z. B. auf https://www.vetpharm.uzh.ch/search/index.htm durch die Suche nach botanischem Namen geprüft werden.
Algengifte in Gewässern – durch Algenblüten mit Toxinen verseuchte Kleingewässer, aber auch Seen und Strandabschnitte können eine ernste Gefahrenquelle darstellen – hier gilt es, öffentliche Warnungen auch für Hunde sehr ernst zu nehmen. Hunde sollten an betroffenen Gewässern unbedingt angeleint werden und auch nicht durch das Wasser laufen. Die Gefahr der spontanen Aufnahme ist groß. Teils geringe Mengen Wasser genügen für eine Vergiftung, die auch tödlich enden kann.
Die größte Gefahr für Vergiftungen von Hunden und Katzen – der Mensch
Tatsächlich wird die Statistik der häufigsten Ursachen von Vergiftungen bei Hunden und Katzen je nach Literaturquelle und untersuchter Region von Substanzen angeführt, die den Tieren direkt oder indirekt von Menschen verabreicht wurden.
Tierarzneimittel – Fehlanwendungen oder Überdosierungen von Tierarzneimitteln führen zum verstärkten Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen, schlimmstenfalls bis hin zu schweren Vergiftungserscheinungen. Meist liegt hier eine Fehlanwendung vor. Eine besondere Sensitivität für bestimmte Stoffgruppen ist jedoch auch möglich. So z. B. die bekannte Ivermectin-Unverträglichkeit mancher Hütehund-Rassen verursacht durch den MDR1 Defekt, auf welchen vorsorglich getestet werden kann.
Humanarzneimittel – stellen eine häufig durch Tierhalter unterschätzte Gefahr dar, je nach Literaturangabe sind sie der Grund für bis zu einem Drittel aller gemeldeten Vergiftungsfälle bei Hunden und Katzen. Hier steht tatsächlich selten die versehentliche Gabe bzw. Aufnahme durch die Tiere im Vordergrund. Meistens ist ein gut gemeinter Therapieversuch durch die Besitzer die Ursache.
Besonders Personen aus dem humanen Gesundheitsbereich sind an die Gabe bzw. Anwendung einiger, für Menschen als harmlos und alltäglich wahrgenommener Medikamente und deren pauschale Dosierung für die Humanmedizin gewöhnt. Gängige NSAIDs aus der Humanmedizin können hoch giftig für Hunde oder Katzen sein. Der häufig bei Menschen eingesetzte Wirkstoff Paracetamol z. B. ist bei Katzen streng kontraindiziert.
Es gibt Literaturangaben, die die tödliche Dosis für Katzen mit 50 mg/kg Körpergewicht angeben – d. h. bereits Teile haushaltsüblicher Tabletten können schwerste Folgen haben. Vergiftungssymptome wie schwere Störungen des Allgemeinbefindens, stark veränderte Leberwerte, Methämoglobinämie und -urie, Ödeme bis hin zu Herz-Kreislaufstörungen können Auftreten, welche durch schwerste Leberzellschädigungen und Bildung und Anhäufung von Methämoglobin verursacht werden. Die ist bedingt durch die verminderte Glucuronidierungskapazität bei Katzen, was zur Bildung toxischer Metabolite auf alternativen Abbauwegen führt. Bei Aufnahme muss unbedingt schnellstmöglich Dekontaminiert werden. N-Acetylcystein sollte verabreicht werden, um die Entgiftung zu unterstützen. Leber- und Nierenwerte müssen überwacht und die betroffenen Tiere stabilisiert werden.
Nahrungsmittel und „Superfood“ – da Hunde und Katzen zu den Fleischfressern gehören und insbesondere Katzen evolutionär gesehen hier besonders spezialisiert sind, verfügen sie nicht in allen Bereichen über ähnliche Enzyme bzw. Abbaumöglichkeiten oder sind empfindlicher gegenüber manchen Stoffen als der Mensch. Da unsere baum- bewohnenden Vorfahren neben tierischer Kost auch sehr viele Arten von Früchten und Blättern konsumiert haben, sind Menschen relativ gut an die Inhaltsstoffe von vielen, teils auch exotischen Früchten, Beeren etc. angepasst.
Ganz praktisch hat dies zur Folge, dass einige Früchte und Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln, die für Menschen als alltäglich und teils gesund gelten oder sogar als „Superfood“ bezeichnet werden für Hunde und Katzen große Gefahren bergen. Hier z. B. sehr wichtig: Avocados – auf keinen Fall an Hunde und Katzen verfüttern. Birkenzucker (Xylit), immer beliebter als „Zuckerersatz“ oder als Süßungsmittel in „zuckerfreien“ Produkten, ist sehr gefährlich für Hunde. Bereits geringe Mengen können zu Vergiftungen führen.
Auch Kakao (besonders dunkle Schokolade) und z. B. Weintrauben können bei empfindlichen Individuen teils schwere Vergiftungserscheinungen verursachen.
Drogen (drugs of abuse) – stellen eine seltene, aber immer wieder vorkommende Quelle von Vergiftungen dar. Quellen können hier Passivrauchen, versehentliche Aufnahmen im Haushalt, aber auch beim Spaziergang z. B. in Großstadt-Parks sein. Symptome ähneln i. d. R. denen bei menschlichem Konsum bis hin zu schweren Vergiftungserscheinungen. Schnelltests für Urin aus der Humanmedizin/Apotheke können hier bei einer schnellen Identifikation hilfreich sein.
(Gift-)Köder, Pestizide und Rodentizide – das traurigste Thema im Bereich Vergiftungen. So genannte „Schädlingsbekämpfungsmittel“ stellen generell eine große direkte und indirekte Gefahr für z. B. Freigänger-Katzen aber auch Hunde beim Spaziergang dar.
Hier muss jedoch klar unterschieden werden, zwischen der „normalen“ Anwendung gegen Schädlinge und dem gezielten Versuch, Haustiere zu vergiften.
Die Anwendung von Rodentiziden (Gifte gegen Nagetiere) ist je nach Land mehr oder weniger gut reguliert. Wer Hund und Katze in der Nähe von landwirtschaftlichen Betrieben, Ställen oder Lebensmittel-verarbeitenden Betrieben frei laufen lässt, sollte sich bewusst sein, dass hier teilweise sogar die gesetzliche Pflicht der Betreiber besteht, Schädlingsbekämpfung durchzuführen. Hier ist es wichtig sich zu informieren, wo evtl. Köderboxen (diese sollten fachgerecht vor dem Zugriff von z. B. Hunden und Katzen geschützt sein) aufgestellt werden, sodass diese Orte gezielt vermieden werden können.
Häufig kommen so genannte Cumarinderivate (Blutgerinnungshemmer) zum Einsatz. Durch zunehmende Regulierung dieser Giftklasse ist jedoch der Einsatz eines eigentlich sehr alten Stoffes, alpha-Chloralose (Wirkung narkotisierend), leider wieder in Mode gekommen. Da der Wirkstoff alpha-Chloralose aktuell in Europa im Vergleich zu Cumarinderivaten nur sehr wenig gesetzlich reguliert ist, kann er leicht z. B. in Bau- und Gartenmärkten und Online-Shops als Köderpaste frei gekauft werden. Bei Rodentiziden kann es in seltenen Fällen nicht nur durch direkte Aufnahme der Gifte, sondern auch durch die Aufnahme verendeter Nagetiere zu Vergiftungserscheinungen kommen.
Diese beiden häufigen Stoffgruppen lassen sich am besten indirekt (bei Cumarinderivaten durch die Überprüfung der Blutgerinnung und Besserung durch Gabe von Vitamin K) oder direkten Nach- weis (bei alpha-Chloralose aus Serum oder Harn) bestätigen.
Giftköder, gezielt gegen Hunde oder Katzen, kommen leider immer wieder vor. Hier sollte immer die Polizei oder zumindest das Veterinäramt informiert werden. Die Untersuchung von Ködermaterial durch private Labors ist zwar teilweise möglich, jedoch sind die Ergebnisse einer privat genommen und nicht an staatlicher Stelle untersuchten Probe vor Gericht leicht anfechtbar. Wir raten hier bei konkretem Verdacht zunächst Kontakt mit den zuständigen Behörden aufzunehmen.
Allgemeine Maßnahmen bei Vergiftungen bzw. dem entsprechenden Verdacht
Wichtige Informationsquellen im Notfall:
Giftnotrufzentralen – die Telefonnummer der örtlich zuständigen Giftnotrufzentrale sollte jeder Praxis bekannt sein. Hier können für konkrete Gifte entsprechende Gegenmaßnahmen im Notfall erfragt werden, auch für Tiere!
Auf www.clinitox.ch können Sie sich zum Thema Vergiftungen und Gifte bei Tieren im deutsch- sprachigen Raum informieren.
Dekontamination & Stabilisierung
Falls das Gift bekannt ist – gezielt, falls Gift unbekannt, vorsichtig mit symptomatischer Therapie vorgehen.
Die Stabilisierung der Herz-Kreislauf-Funktionen des Patienten hat oberste Priorität. Ist diese gesichert oder der Patient bei Eintreffen in der Praxis noch munter, sollten umgehend Dekontaminationsmaßnahmen ergriffen werden, um den Übertritt von Toxinen aus dem Magen-Darm-Trakt in den Organismus zu begrenzen bzw. die mögliche Ausscheidung zu forcieren. Je nach Zustand des Patienten und aufgenommenem Gift – Erbrechen lassen (CAVE, z. B. nicht bei Laugen!), Aktivkohle oral verabreichen, infundieren, Magen/Darmspülung erwägen, Verabreichung von Ölen/Paraffinöl bei fettlöslichen Stoffen oder Seifen u. v. m.
Hier gilt, wie immer: „Die Dosis macht das Gift“. Je mehr schnell aus dem Körper entfernt werden kann oder erst gar nicht resorbiert wird, desto besser.
Wichtig ist den Organismus bei der Verstoffwechselung bzw. Ausscheidung des Toxins und der natürlichen Entgiftungsfunktion zu unterstützen. Nur in wenigen Fällen gibt es „echte“ Gegengifte, wie z. B. Vitamin K bei Cumarinen.
Klinisch überwachen bis zur Genesung und Material für eventuelle Ursachenforschung asservieren
Ist der Patient stabilisiert und dekontaminiert, soweit dies praktisch möglich war, sollte dieser unbedingt zunächst, je nach Zustand, unter Beobachtung der Besitzer oder stationär in der Klinik bleiben. Der allgemeine Gesundheitszustand, aber besonders die Funktionen von Leber und Nieren sollten wiederholt kontrolliert werden. Für nahezu alle Toxine sind Leber und/oder Nieren für die Ausscheidung essenziel und können durch die Intoxikation in Mitleidenschaft gezogen werden bzw. muss ihre physiologische Funktion evtl. therapeutisch unterstützt werden, um die Ausscheidung der Gifte zügig zu ermöglichen.
Ist das verursachende Gift unbekannt bzw. besteht ein genereller Vergiftungsverdacht unklarer Genese und soll dies evtl. zu einem späteren Zeitpunkt in einem Labor geklärt werden, so muss Probenmaterial wie Erbrochenes (mit Köderverdacht), Serum oder Urin möglichst zeitnah zu den beobachteten Symptomen oder vor der Erstbehandlung bzw. Untersuchung gewonnen und gelagert werden (Gefrierfach). Gerade bei unklarem Geschehen ist Urin (möglichst mehr als 1 – 2 ml), welcher zeitnah zu auftretenden Symptomen gewonnen wurde, das wichtigste Material. Die meisten Giftstoffe bzw. deren Abbauprodukte lassen sich in diesem Material nachweisen, während oder nachdem Symptome aufgetreten sind, in Blut oder Serum können zu diesem Zeitpunkt oft schon keine Nachweise mehr möglich sein (im Zweifel Serum und Urin einfrieren). Sollten die Besitzer sich zu einem späteren Zeitpunkt für eine weitere Untersuchung des Materials auf Giftstoffe entscheiden, liegt dieses dann bereits vor. Die Untersuchung von Material von Tieren, die zu dem Zeitpunkt schon länger keine klinische Symptomatik mehr zeigen, bleibt i. d. R. erfolglos.
Die Prävention von Vergiftungen durch Aufklärung der Tierhalter ist die wichtigste Maßnahme, um Hunde und Katzen zu schützen!
Dr. Simon Franz Müller
Weiterführende Literatur
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Bille L, Toson M, Mulatti P, Dalla Pozza M, Capolongo F, Casarotto C, Ferrè N, Angeletti R, Gallocchio F, Binato G. Epidemiology of animal poisoning: An overview on the features and spatio-temporal distribution of the phenomenon in the north-eastern Italian regions. Forensic Sci Int. 2016 Sep;266:440-448. doi: 10.1016/j.forsciint.2016.07.002.
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Berny P, Caloni F, Croubels S, Sachana M, Vandenbroucke V, Davanzo F, Guitart R. Animal poisoning in Europe. Part 2: Companion animals. Vet J. 2010 Mar;183(3):255-9. doi: 10.1016/j.tvjl.2009.03.034.
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Gupta RC. Veterinary Toxicology. Academic Press Inc; 2018.