Atopische Patienten produzieren häufig IgE gegen Allergene. Es gibt aber manche Patienten, die trotz allergischer Symptome keine IgE produzieren, diese Erkrankung wird atopic-like Dermatitis (ALD) genannt. Die ALD-Patienten zeigen negative Allergietestergebnisse sowohl im Serumtest als auch beim Intrakutantest. Das Phänomen ist auch in der Humanmedizin bekannt und heißt intrinsic-atopic Dermatitis (IAD). In diesem Fallbericht wird erklärt, was bei der Diagnose einer ALD berücksichtigt werden soll.
Anamnese
Rocky ist eine 2 Jahre alte männliche englische Bulldogge mit einem Gewicht von 25 kg, der mit der Vorgeschichte rezidivierende Otitiden, Rötung, Ausschlag und Juckreiz am ganzen Körper seit 6 Monaten vorgestellt wurde. Rocky lebt mit seinem Besitzer in einer Wohnung. Er ist lebhaft und aufmerksam, er frisst, trinkt normal und hat 2- bis 3-mal am Tag Kotabsatz mit normaler Konsistenz. Rocky bekommt verschiedene Futtermittel wie Schweine-, Rind- und Lammfleisch, Reis, Karotte, Gemüse usw. Eine Eliminationsdiät wurde mit Pferdefleisch und Kartoffeln durchgeführt und hat keine Verbesserung erzielt. Die Stärke des Juckreizes ist ohne Medikamente 8/10 und mit Behandlung 2-4/10 nach der visuellen Analog-Skala für Juckreiz (Pruritus Visual Analog Scale; PVAS) (Abb. 1 auf Seite 2). Rocky bekommt folgende Medikamente: Prednisolon 25 mg, 1/2 Tablette (0,5 mg/kg) einmal am Tag seit Beginn der Erkrankung, Ohrreiniger einmal in der Woche in beide Ohren, regelmäßig alle drei Monate Bravecto® (Fluralaner) als Prophylaxe gegen Ektoparasiten und er wurde mindestens einmal wöchentlich mit Chlorhexidin oder Malaseb® Shampoo gebadet. Die Besitzerin möchte keine weitere Therapie mit Prednisolon.
Dermatologische Untersuchung
Bei der dermatologischen Untersuchung wurde ein geringgradiges bis mittelgradiges Erythem an Schnauze, Achseln und im Bauchbereich festgestellt. Die Vorderpfoten zeigten palmar sowie interdigital eine mittelgradig erythematöse nässende Dermatitis, zwischen der 3. und der 4. Zehe zeigte sich beidseitig eine geringgradige Alopezie mit mittelgradiger erythematöser Dermatitis und an den hinteren Pfoten (nur plantar) zeigte er ein geringgradiges Erythem. Die Innenseiten der Ohrenmuscheln und die Eingänge beider Gehörgänge waren erythematös. Bei der Otoskopie waren die beiden Gehörgänge mittelgradig rot, stenotisch und das Trommelfell nur teilweise sichtbar. Um die Diagnose einer atopischen Dermatitis zu vereinfachen, wurden im Jahr 2010 die Favrot-Kriterien mit guter Spezifität und Sensitivität entwickelt. Diese Kriterien wurden basierend auf Anamnese und klinischer Untersuchung gestaltet.
Diese Kriterien sind:
- Alter des Auftretens der ersten Symptome unter 3 Jahre
- Indoor-Haltung
- Auf Glukokortikoide ansprechender Juckreiz
- Juckreiz ohne sichtbare Hautveränderung zu Beginn der Erkrankung (pruritus sine materia)
- Chronische oder wiederkehrende sekundäre Infektion (Malassezien/bakterielle Infektion)
- Chronische oder wiederkehrende Otitis externa
- Gute Wirksamkeit der vorherigen Antibiotikatherapie
- Pfoten, Achseln, Ohrmuscheln und Ohren sind betroffen und die Ohrränder/hinterer Rücken sind nicht betroffen.
Bei Rocky sind die meisten genannten Kriterien erfüllt.
Mikroskopische Beurteilung
Abklatschpräparate
Abklatschpräparate von Schnauze, Achseln und Bauchbereich wurden zytologisch untersucht und Bakterien/Malassezien waren nicht nachweisbar. In der Zytologie von den Ohren waren mittelgradig Kokken und geringgradig Neutrophile nachweisbar.
Tesafilmabklatsch
Die Proben von den Pfoten wurden mittels Tesafilm genommen. An den Vorderpfoten waren nach der Färbung mit Diff-Quik Malassezien nachweisbar.
Sarcoptes-Räude ist eine wichtige Differenzialdiagnose bei chronisch juckenden Patienten. Da Rocky regelmäßig Bravecto® bekommen hat, wurden diesbezüglich keine diagnostischen Tests (Pinnal-Pedal-Reflex/ oberflächliches Hautgeschabsel) durchgeführt.
Erste Verdachtsdiagnose
Malassezien-Pododermatitis, rezidivierende Otitis externa mit bakterieller Infektion in beiden Gehörgängen und eine zugrundeliegende Allergie (atopische Dermatitis/Futtermittelallergie)
Therapiebeginn und Eliminationsdiät
Im ersten Schritt wurde die Behandlung der sekundären Infektion der Pfoten (Malassezien) täglich mit Malaseb® Shampoo und der Ohren einmal täglich mit Aurizon®-Ohrentropfen (Marbofloxacin, Clotrimazol und Dexamethason) für 14 Tage durchgeführt.
Eine Eliminationsdiät ist Goldstandard zur Feststellung der Diagnose Futtermittelallergie. Bei Rocky wurde bereits eine Eliminationsdiät mit Pferdefleisch und Kartoffeln – jedoch ohne Erfolg – durchgeführt. Obwohl eine Diät ausschließlich mit einer neuen Eiweiß- und einer Kohlenhydratquelle durchgeführt wurde, könnte eine Unverträglichkeit aufgrund von Kreuzreaktionen zwischen Futtermittelbestandteilen oder Diätfehlern (wie das heimliche Abschlecken von Geschirr oder das Fressen von Krümeln am Boden oder die Verabreichung von falschem Futter durch andere Personen) vorliegen. Deshalb wurde eine zweite, strenge Eliminationsdiät ausschließlich mit hydrolysiertem Futter (Anallergenic von Royal Canin) für 8 Wochen durchgeführt. Das Prednisolon wurde langsam ab der 4. Woche der Eliminationsdiät ausgeschlichen (erste Woche jeden zweiten Tag, zweite Woche jeden dritten Tag und dann abgesetzt). Rocky hat diesmal auch keine Verbesserung unter der neuen Diät gezeigt, daher wurde eine Futtermittelallergie ausgeschlossen und ein Allergietest gegen Umgebungsallergene geplant.
Allergietests gegen Umweltallergene
Allergietests sind eine zuverlässige Methode, um die relevanten Allergene für die Formulierung einer Allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT) gegen Umgebungsallergene zu identifizieren (Gräser-, Kräuter-, Baumpollen, Haustaub- und Vorratsmilben sind die häufigsten Umgebungsallergene, aber auch andere Allergene wie Schimmelpilzsporen, Insekten und Epithelien/Federn von Tieren können eine Atopie verursachen). Zur Durchführung eines Allergietests sollte der Patient eine Absetzfrist für Glukokortikoide von mindestens 12 Wochen bei (Depot-)Injektionspräparaten, 6-8 Wochen bei oraler Gabe von Prednisolon und auch 2-4 Wochen bei topischen Formulierungen (Otika/Salben/Sprays) einhalten. Um einen allergischen Schub während der Absetzfrist zu vermeiden, hat der Hund nach dem Absetzen des Prednisolons und der Beendigung der Eliminationsdiät Lokivetmab (Cytopoint®) im Abstand von 4 Wochen bekommen. Laut Literatur wurde bisher bei Hunden unter Lokivetmab kein negativer Effekt auf Allergietests festgestellt (detaillierte Informationen über die Absetzfristen von Medikamenten finden Sie hier: laboklin.com/de/infothek/weitere-laborinformationen/allergie/allergie-newsletter/juli-2020/).
Ein Allergietest gegen saisonale Allergene, ganzjährige Allergene und Epithelien/ Federn von Tieren wurde 4 Monate nach Absetzen von Prednisolon durchgeführt, aber die Allergietestergebnisse waren gänzlich negativ – sowohl die saisonalen Allergene als auch die ganzjährigen Allergene und Epithelien. Da bei klinisch allergischen Patienten mit negativem Ergebnis bei einer Testmethode (Serumtest oder Intrakutantest) die andere Methode zur Allergenidentifizierung angewendet werden sollte, wurde auch noch ein Intrakutantest (IKT) durchgeführt. Bei Rocky konnten aber auch im IKT keine auslösenden positiven Allergene identifiziert werden.
Diagnose
Atopic-like Dermatitis (ALD)
Therapie
Die Identifizierung Allergen-spezifischer IgE ist bei der atopic-like Dermatitis nicht möglich, deshalb ist die Durchführung einer ASIT bei solchen Patienten nicht machbar. Daher sind eine aktive und proaktive Therapie mit Antijuckreizmedikamenten wie Prednisolon, Apoquel®, Cyclosporine und Cytopoint® der einzige mögliche Therapieplan. Rocky wurde mit Apoquel® 16 mg 3/4 Tablette am Tag (erste 14 Tage 2-mal am Tag) behandelt. Zusätzlich ist die Verabreichung einmal wöchentlich von Cortavance ®-Spray (Hydrocortisonaceponat) 1 ml in die Ohren und auch auf der Haut als proaktive Therapie sinnvoll. Obwohl die Atrophie der Haut durch Verabreichung Cortvance® im Vergleich zu anderen Kortikoiden deutlich geringer ist, sollte die Haut regelmäßig untersucht werden. Shampoo-Therapie 1- bis 2-mal in der Woche und Bravecto® alle 3 Monate wurde weiterhin empfohlen. Um die Hautbarriere zu schützen, wurden darüber hinaus essenzielle Fettsäuren (EFAs) nach der Shampoo-Therapie verabreicht. Die Stärke des Juckreizes ist unter Kontrolle und zwischen 1 bis 3 nach PVAS. Rocky wurde alle 3 Monate untersucht, um den Verlauf der Erkrankung und sekundäre Infektionen zu beurteilen.
Diskussion
Die ALD ist eine juckende, entzündliche Hauterkrankung mit gleichen klinischen Symptomen wie bei der atopischen Dermatitis, wobei keine Allergen-spezifischen IgE gegen Umgebungsallergene gebildet werden und auch der IKT keine Reaktionen zeigt. Das Phänomen ist seit längerer Zeit in der Humanmedizin bekannt. Eine Atopie wurde in der Humanmedizin in intrinsische atopische Dermatitis (IAD) und extrinsische atopische Dermatitis (EAD) unterteilt. Wie Hunde mit ALD zeigen IAD-Patienten keine IgE im Serumtest und keine Reaktion im Pricktest. Die Prävalenz der IAD in der Humanmedizin liegt bei 10-45 %, die der ALD wird in der veterinärmedizinischen Literatur mit 14-25 % beschrieben. Aufgrund fehlender Allergen-spezifischer IgE ist eine Formulierung der ASIT bei solchen Patienten nicht möglich. In der humanmedizinischen Literatur wurde berichtet, dass IAD-Patienten zu einem späteren Zeitpunkt Allergen-spezifische IgE produzieren können, was jedoch in der Veterinärmedizin noch unklar ist. Daher ist unsicher, ob bei Rocky eine Wiederholung des Tests zu einem späteren Zeitpunkt wirklich Sinn macht. Rocky zeigte einen guten Erfolg der Therapie mit Antijuckreizmedikamenten (Glukokortikoiden, Oclacitinib, Lokivetmab). Eine klare Information über die erfolgreichste therapeutische Methode ist aber bei ALD-Patienten nicht vorhanden. In zwei Studien hat Cyclosporin (CsA) eine gute Wirksamkeit und in anderen Studien keine gute Erfolgsrate gezeigt. Über die Wirksamkeit anderer Medikamente wurde bisher keine Studie durchgeführt.
Über ALD ist in der Veterinärmedizin bisher wenig bekannt und eine Diagnosestellung ist eine Herausforderung für TierärztInnen. Es ist wichtig, dass man bei Patienten mit negativen Allergietestergebnissen andere juckende Dermatosen wie Ektoparasiten, Futtermittelallergie, Flohspeichelallergie ausschließt und die Einhaltung der Absetzfrist von Medikamenten wie z.B. Glukokortikoiden überprüft. Unwissentliche Vorbehandlung, falscher Testzeitpunkt oder unzureichende Wartezeiten von Medikamenten sind die häufigste Ursache negativer Allergietestergebnisse, die zu einer Überdiagnose der ALD führen können. Daher sind eine genaue Anamnese und eine richtige dermatologische Untersuchung erforderlich, um eine falsche Diagnose zu vermeiden.
Autor: Amir Davoodi