Generelles zu Biomarkern für die Nierenfunktion
Die Parameter, die wir für die Nierenfunktionsdiagnostik nutzen, sind so genannte Biomarker. Funktioniert die Niere nicht wie sie soll, bleiben sie im Blut zurück. Aus der Konzentration schließen wir, wie schwer die Nierenfunktionsstörung ist. Klingt einfach, ist es eigentlich auch.
Azotämie: Die Erhöhung der klassischen Nierenwerte Harnstoff und Kreatinin im Blut nennt man Azotämie (unabhängig davon, ob nur einer oder beide Werte verändert sind). Der Begriff Azotämie bedeutet aber nicht automatisch, dass die Niere erkrankt ist. Erst wenn wir uns sicher sind, dass weder eine prärenale noch eine postrenale Azotämie vorliegen, können wir von einer Nierenerkrankung sprechen.
Urämie: Urämie ist ein Begriff für die klinischen Folgen der Nierenfunktionsstörung, die durch Retention von toxischen Stoffwechselprodukten, Dysregulation von Wasser- und Elektrolythaushalt sowie Hormonimbalancen entstehen. Zu den Symptomen, die mit einer Urämie einher gehen, gehören u.a. Lethargie, Schwäche, Dehydratation, Inappetenz, Vomitus und Gewichtsverlust.
Azotämie und Urämie sind somit nicht dasselbe. Die Azotämie zeigt die Nierenfunktionsstörung an. Die Urämie, dass der Patient dadurch in seiner Lebensqualität beeinflusst wird. Somit ist ersteres wichtig für die Diagnose der Nierenfunktionsstörung, zweiteres für die Beurteilung des klinisch relevanten Schweregrades der Erkrankung. Der Unterschied zwischen Azotämie und Urämie erklärt unter anderem, warum einige Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CNE) bei hohen Nierenwerten noch relativ gut klar kommen während andere mit niedrigeren Werten schon schlechter zurecht sind. Die klassischen Biomarker sind zwar meist Ausdruck des Grades der Nierenfunktionsstörung, zeigen aber nicht unbedingt an, welche Auswirkungen dies auf den individuellen Patienten hat. Die meisten Toxine, die unseren Patienten das Leben schwer machen, werden nicht durch Labortests erfasst. Eine Ausnahme bildet Indoxylsulfat (s.u.)
In der Niere wird das zu reinigende Blut durch das Glomerulum geleitet. Dort wird das Ultrafiltrat abgepresst (glomeruläre Filtration). Dieses Ultrafiltrat wird im Tubulus nachbearbeitet. Dort werden die Stoffe, die der Körper nicht verlieren möchte (z.B. Wasser, Proteine, Glukose, Elektrolyte) wieder zurückresorbiert. Hinsichtlich unserer Biomarker konzentrieren wir uns meist auf die glomeruläre Filtrationsrate (GFR).
Die GFR ist aber nicht alles, was eine Nierenfehlfunktion definiert. Die Prozesse im Tubulus spielen eine wesentliche Rolle. Sie sind es, die bei Tieren mit Nierenerkrankung zu klassischen Problemen wie Polyurie/Polydipsie, Dehydratation und Elektrolytstörungen führen. Zudem werden viele urämische Toxine nicht nur durch die glomeruläre Filtration in den Harn ausgeschieden, sondern müssen zusätzlich (oder z.T. sogar hauptsächlich) über den Tubulus sezerniert werden. Insbesondere in fortgeschrittenen Stadien der interstitiellen Nephritis, der häufigsten Ursache chronischer Nierenerkrankungen bei Hund und Katze, wird die Tubulusfunktion zunehmend schlechter und damit für uns klinisch relevanter.
- Abb. 1: Differentialdiagnosen Azotämie
- Abb. 2a: Indoxylsulfat-Konzentrationen bei Hunden mit CNE, abhängig vom IRIS-Stadium Quelle: Laboklin, unveröffentlichte
- Abb. 2b: Indoxylsulfat-Konzentrationen bei Katzen mit CNE, abhängig vom IRIS-Stadium Quelle: Laboklin, unveröffentlichte
Die Biomarker der Nierenfunktionsdiagnostik
Harnstoff
Harnstoff ist ein Abfallprodukt des Proteinstoffwechsels. Er wird frei über das Glomerulum filtriert, aber partiell im Tubulus wieder rückresorbiert. Dadurch ist Harnstoff kein reiner Marker der GFR. Bei Diurese sinkt Harnstoff im Blut infolge einer reduzierten Rückresorption. Bei Dehydratation oder anderer Perfusionsstörung steigt er deutlicher an als andere Nierenparameter. Hinzu kommt, dass der Anteil an Harnstoff im Blut wesentlich von der Menge des mit der Nahrung aufgenommenen Proteins beeinflusst wird (Anstieg bei proteinreicher Fütterung oder bei Magen-Darm-Blutungen, Abfall bei inappetentem Tier). Das macht Harnstoff zu einem relativ schwierigen Parameter, wenn es um die Beurteilung der GFR geht. Etwas, was in der Frühdiagnostik eine Rolle spielt. Aber Harnstoff hat einen Vorteil: auch wenn er selbst nicht toxisch ist, korreliert der Wert oft gut mit einer Urämie. Somit gewinnt er insbesondere bei fortgeschrittener Nierenerkrankung an Bedeutung.
Harnstoff wird optimal aus Serum bestimmt. Das Blut sollte abzentrifugiert und abpipettiert werden. Ansonsten kann es durch die während des Transportes mögliche Hämolyse zu falsch hohen Messergebnissen kommen. Neben der Hämolyse kann auch eine Hyperbilirubinämie zu erhöhten Werten führen. Lipämisches Blut kann das Ergebnis reduzieren. Verwirrung stiften oft die Begriffe UREA und BUN (Blood Urea Nitrogen). Diese Begriffe sind nicht vollständig gleichwertig. Nur Harnstoff (UREA) wird direkt gemessen. BUN wird über ein indirektes Messverfahren bestimmt bei dem nicht das gesamte Harnstoffmolekül erfasst wird, sondern lediglich der darin enthaltene Stickstoff (Nitrogen). Dies ist vor allem bei in-house Geräten der Fall. Möchte man die Werte (UREA und BUN) vergleichen, müssen Korrekturformeln angewandt werden.
Kreatinin
Kreatinin entsteht vorrangig aus dem Muskelstoffwechsel und ist damit von der Muskelmasse abhängig. Es wird über das Glomerulum filtriert, aber nicht im Tubulus rückresorbiert. Damit korreliert es sehr gut mit der GFR. Entgegen der weitverbreiteten Meinung beginnt er bei Nierenerkrankungen schon relativ früh anzusteigen, aber erst bei einer Reduktion der GFR um 70-85% steigt Kreatinin über den Referenzbereich (= Kreatinin-blinder Bereich). Es macht Sinn, sich den Wert im Nierenprofil genauer anzusehen. Ist er höher als für den Patienten zu erwarten (z.B. bei einem Patienten mit geringer Muskelmasse) oder steigt er über die Zeit an, kann das ein erster Hinweis für eine Nierenfunktionsstörung sein.
Auch wenn Kreatinin grundsätzlich ein guter Parameter zur Beurteilung der GFR ist, sollte man sich bewusst sein, dass er nicht immer entsprechend dem Grad der Nierenerkrankung erhöht ist. Bei alten Tieren mit geringer Muskelmasse, bei Hyperfiltration durch systemische Hypertension oder bei Hyperthyreose kann Kreatinin niedriger sein als die Nierenfunktion eigentlich erwarten ließe.
Unabhängig von einer Nierenerkrankung werden erhöhte Werte bei Dehydratation und Perfusionsstörung (prärenale Azotämie), Harnwegsobstruktion/-ruptur (postrenale Azotämie), bei sehr gut bemuskelten und trainierten Hunden sowie bei der Birma Katze und bei Fleisch-reicher Fütterung gesehen.
Von der IRIS (International Renal Interest Society) wird insbesondere Kreatinin zur Klassifizierung von Nierenerkrankungen herangezogen. Dabei ist insbesondere die Einteilung der CNE in die Stadien 1-4 im Praxisalltag relevant. Im Stadium 1 (Frühstadium) liegt noch keine Azotämie vor. Das Stadium 2 wird durch eine geringgradige Azotämie definiert, hier sind oft keine oder nur milde klinische Symptome vorhanden. Stadium 3 zeichnet sich durch eine mittelgradige Azotämie und deutlicher werdende klinische Probleme aus. Stadium 4 wird oft auch als Endstadium bezeichnet, die Azotämie ist hochgradig.
SDMA
Symmetrisches Dimethylarginin (SDMA) ist eine Aminosäure, die beim Proteinabbau frei wird. Es ist bei allen Tierarten und dem Menschen gleich. SDMA wird über das Glomerulum filtriert und so gut wie nicht rückresorbiert wird. Damit ist es ein weiterer Parameter für die GFR. Vorteil gegenüber dem Kreatinin ist, dass SDMA weniger von der Muskelmasse abhängig und daher auch bei kachektischen Tieren einsetzbar ist. SDMA kann zur Früherkennung einer Nierenerkrankung genutzt werden. Bei einzelnen Tieren war es bereits bei sehr geringer Reduktion der GFR erhöht. Allerdings ist dies nicht konstant der Fall. In einigen Fällen kann SDMA sogar später als Kreatinin ansteigen. Zudem ist unklar, welche Aussagekraft das Auffinden einer nur geringgradigen GFR Reduktion für Prognose und klinische Konsequenz hat. Es ist zu beachten, dass SDMA, wie auch Kreatinin, solchen Faktoren unterliegt, die unabhängig vom Gesundheitszustand der Niere die GFR beeinflussen. Es steigt an bei Dehydratation und Minderperfusion der Niere (prärenale Azotämie) sowie bei Harnabflussstörung (postrenale Azotämie) und sinkt ab bei Hyperfiltration (Hyperthyreose, systemische Hypertension). Bei wachsenden Tieren und solchen mit erhöhtem Proteinumsatz ist es ebenfalls oft erhöht.
SDMA wurde von der IRIS für die Stadieneinteilung der chronischen Nierenerkrankung mit aufgenommen.
Bestimmt wird SDMA aus Serum oder Heparin-Plasma. Der Wert wird in mmol/l angegeben.
IRIS
Stages |
Kreatinin [μmol/l]
|
SDMA [μmol/l]
|
||
Hund | Katze | Hund | Katze | |
1 | < 125 | < 140 | < 0,89 | < 0,89 |
2 | 125 – 250 | 140 – 250 | 0,89 – 1,73 | 0,89 – 1,24 |
3 | 251 – 440 | 251 – 440 | 1,78 – 2,67 | 1,29 – 1,88 |
4 | > 440 | > 440 | > 2,67 | > 1,88 |
Tab. 1: IRIS-Stadieneinteilung der CNE, adaptiert an den bei Laboklin verwendeten SDMA-Test (SI-Einheiten) Quelle: Laboklin
Cystatin C
Cystatin C wird zur Frühdiagnostik beim Menschen genutzt und von einigen Autoren für den Hund als der Kreatinin-Bestimmung überlegen angesehen. Allerdings hat eine neuere Studie die Sensitivität und Spezifität von Cystatin C als geringer gegenüber Kreatinin und SDMA beurteilt. Vorsicht scheint zudem bei Hunden mit D. mellitus oder Hyperadrenokortizismus geboten zu sein. Bei Katzen mit chronischer Nierenerkrankung wurde eine relativ starke Überlappung zwischen gesunden und erkrankten Katzen gefunden. Dies macht Cystatin C bei Katzen zu einem unzuverlässigen Parameter.
Indoxylsulfat
Indoxylsulfat ist eines der wichtigsten urämischen Toxine. Es fällt aus dem Tryptophan-Stoffwechsel über den Abbau von Indol an. Das proteingebundene Toxin wird zu 90% über Transporter im Tubulus in den Harn sezerniert und zu 10% über das Glomerulum filtriert. Wird es aufgrund einer kombinierten Fehlfunktion von Glomerulum und Tubulus nicht adäquat ausgeschieden, führt es über die Induktion von oxidativem Stress zu weiteren Schäden und somit zur Progression der Nierenerkrankung. Auch ist ein negativer Einfluss auf den für die Nierenprogression wichtigen Phosphathaushalt wahrscheinlich.
Indoxylsulfat korreliert mit der GFR sowie mit den Konzentrationen von Harnstoff, Kreatinin und Phosphat im Serum bei Hunden und Katzen mit Nierenerkrankungen. Es steigt bereits in frühen Erkrankungsstadien (IRIS Stadium 2) leicht an und ist am höchsten bei Tieren mit fortgeschrittener Nierenfehlfunktion (IRIS Stadium 4).
Da Indoxylsulfat ein urämisches Toxin ist, zeigt es nicht nur den Grad der GFR Reduktion an, sondern sagt vielmehr etwas über den klinisch relevanten Zustand (= den Grad der Urämie) des Patienten aus. Indoxylsulfat kann somit eine konkrete Hilfe bei der Therapieentscheidung sowie der Einschätzung der Wirksamkeit durchgeführter therapeutischer Maßnahmen sein. Zudem ist es vielversprechend als wertvoller prognostischer Marker. Je höher der Wert, desto intensiver sollte an therapeutischen Maßnahmen zur Reduktion urämischer Toxine gearbeitet werden.
Die Blutentnahme sollte am gefasteten Tier erfolgen (Indoxylsulfat steigt insbesondere nach einer proteinreichen Fütterung an). Für die Untersuchung wird Serum benötigt (abzentrifugiert + abpipettiert), das gekühlt versandt werden muss. Der Parameter wird über die relativ aufwendige HPLC Methode bestimmt und aktuell nur von LABOKLIN angeboten.
Phosphat
Phosphat wird über die Niere ausgeschieden und ist damit ebenfalls ein Marker einer eingeschränkten Ausscheidungskapazität der Niere. Allerdings sehen wir bei Patienten in früheren Stadien der CNE (IRIS 1+2) meist Phosphatwerte im Referenzbereich. Das liegt daran, dass Retention von Phosphat eine Gegenregulation eingeleitet wird. Diese wird vorrangig über Parathormon gesteuert und führt zu einer verminderten Rückresorption von Phosphat im Tubulus. So kann der Körper die Blut-Phosphat-Werte konstant halten. Dies funktioniert aber nur wenn ausreichend Zeit vorhanden ist, diesen Kompensationsmechanismus zu aktivieren, und wenn die Menge an retiniertem Phosphat nicht das kompensierbare Maß überschreitet. In späteren Stadien der CNE (in der Regel ab IRIS Stadium 3) kann die reduzierte Filtration von Phosphat nicht mehr durch eine geringere Rückresorptionsrate im Tubulus ausgeglichen werden. Erst dann steigt bei CNE der Phosphat-Wert über den Referenzbereich. Zu beachten ist, dass nicht nur das Phosphat selbst sondern vor allem die Kompensationsmechanismen für die Progression der Nierenerkrankung verantwortlich gemacht werden. Deshalb wird empfohlen, den Phosphatwert unter einem bestimmten Zielbereich zu halten. Dieser Zielbereich unterscheidet sich vom Referenzwert. So empfiehlt die IRIS einen Phosphatwert zwischen 0.9 und 1.5 mmol/l (2.7-4.6 mg/dl) für Hunde und Katzen mit CNE (insbesondere in frühen IRIS Stadien). Dies ist geringer als die allgemein üblichen Referenzwerte für Phosphat.
Harnuntersuchung nicht vergessen
Ein einfacher, aber meist unterbewerter Nierenfunktionsparameter ist das Harn-spezifische Gewicht (SG). Bestimmt wird es mit einem Refraktometer. Das auf einigen Harn-Teststreifen ablesbare SG gibt für Tiere keine korrekten Werte wieder. Das SG ist ein Parameter, der die Funktion des Tubulus überprüft. Ist die Harn-Konzentrationsfähigkeit der Niere gestört, bedeutet dies, dass der Tubulus seiner Funktion, Wasser zurückzuresorbieren, nicht nachkommt. Ein reduziertes SG kann bereits vor dem Eintreten einer Azotämie auftreten. Typisch für eine Nierenerkrankung sind Werte zwischen 1008 und 1025 beim Hund bzw. 1008 und 1035 bei der Katze. Allerdings müssen andere Faktoren, die zu einem reduzierten SG führen können (z.B. bakterielle Infektionen, Hormonstörungen, Hyperkalzämie), ausgeschlossen werden.
Eine Proteinurie kann ebenfalls eine Nierenerkrankung anzeigen. Ein erhöhter Urin-Protein-Kreatinin Quotient (UP/C) tritt sowohl bei glomerulären als auch bei tubulären Schäden auf. Auch hier kann es bereits vor Auftreten einer Azotämie zu einer Störung kommen. Der UP/C Quotient ist nur verlässlich, wenn keine Entzündungsanzeichen im Harn vorhanden sind. Eine Sediment-Untersuchung sollte somit in jedem Fall parallel erfolgen. Insbesondere für Katzen liefert der Harn-Teststreifen sowohl falsch hohe als auch falsch niedrige Werte. Ein korrektes Ergebnis kann nur mit Hilfe des UP/C erreicht werden. Erhöhte Werte können zudem auftreten bei systemischer Hypertension, Hyperthyreose, Fieber und Hyperproteinämie. Für die Verlaufsuntersuchung ist zu beachten, dass ein sinkender UP/C nur bei stabiler Nierenfunktion positiv zu bewerten ist. Sinkt die Nierenfunktion (zu erkennen an steigendem Serum-Kreatinin) stehen weniger Glomerula zur Verfügung, über die Protein verloren gehen kann. Der UP/C kann abfallen.
FAZIT
- Das klassische Nierenprofil besteht aus Biomarkern, die vorrangig die GFR widerspiegeln. Dabei eignet sich SDMA zur Früherkennung von Nierenerkrankungen.
- Nicht zu unterschätzen ist der Wert der Harnuntersuchung. Das USG und der UP/CQuotient können bereits sehr früh Hinweise auf eine Nierenfunktionsstörung geben.
- In späteren Stadien der CNE können Harnstoff und insbesondere Indoxylsulfat hilfreich bei der Einschätzung der Folgen der Erkrankung für den Patienten sein.
Dr. Jennifer von Luckner, Dr. Corinna Weber
Das Literaturverzeichnis erhalten Sie gerne auf Anfrage.