Pruritus (= Juckreiz) ist ein unangenehmes Gefühl, das den Reflex zum Kratzen auslöst. Trotz umfangreicher Forschung sind die Mechanismen, die dem Pruritus zugrunde liegen, noch nicht vollständig verstanden. Das macht ihn zum Gegenstand weiterer Untersuchungen. Kratzen lindert vorübergehend den akuten Juckreiz, kann jedoch bei chronischem Pruritus die Situation verschlimmern, da es zu Hautschäden und einem Teufelskreis aus Jucken und Kratzen führt.
Chronischer Pruritus ist ein komplexes Phänomen, das eng mit Schmerzen verbunden ist. Er beeinträchtigt die Lebensqualität von Menschen und Tieren erheblich und führt oft zu Schlaflosigkeit, Depressionen, Unruhe und Angstzuständen. Aufgrund dieser massiven Auswirkungen werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um Pruritus besser zu verstehen und wirksame Behandlungen zu entwickeln.
Arten von Pruritus
Pruritus kann anhand anatomischer, physiologischer und psychologischer Faktoren in fünf Typen unterteilt werden:
- Pruritozeptiver Pruritus: Dieser Typ entsteht in der Haut und wird durch sensorische Nervenenden ausgelöst, die auf Entzündungsmediatoren oder Hautschäden reagieren. Er stellt die häufigste Form dar und tritt bei allergischen, parasitären oder anderen Hauterkrankungen auf.
- Neuropathischer Pruritus: Durch Nervenschäden in peripheren oder zentralen sensorischen Neuronen verursacht, tritt dieser Juckreiz ohne Hautreizungen auf. Beispiele in der Veterinärmedizin sind das Akral-Mutilations-Syndrom, das Cauda-Equina-Syndrom und die Pseudowut (Aujeszky-Krankheit).
- Neurogener Pruritus: Im Gegensatz zum neuropathischen Pruritus resultiert dieser aus der Aktivierung des zentralen Nervensystems ohne Nervenschäden. Er ist mit systemischen Erkrankungen wie Lebererkrankungen oder Neoplasien verbunden und in der Veterinärmedizin seltener.
- Psychogener Pruritus: Dieser Typ entsteht durch psychische Störungen wie Stress oder Depressionen. Er wird durch den Ausschluss dermatologischer und neurologischer Ursachen diagnostiziert und ist schwer zu behandeln.
- Chronischer Pruritus: Chronischer Pruritus führt zu einer Überempfindlichkeit des Nervensystems. Periphere Sensibilisierung senkt die Aktivierungsschwelle, erhöht die Nervendichte und -empfindlichkeit. Zentrale Sensibilisierung verändert die neuronale Aktivität, sodass nicht-juckende Reize Juckreiz auslösen. Diese Veränderungen verstärken den Juck-Kratz-Zyklus und verschlimmern die Entzündung und die Hautschäden.
Beurteilung von Pruritus bei Hunden und Katzen
Eine genaue Beurteilung des Pruritus ist entscheidend für ein effektives Management. Wichtige Schritte sind:
Beobachtungen der Besitzer: Besitzer liefern wertvolle Einblicke in den Zustand ihres Tieres, auch wenn diese Beobachtungen subjektiv sein können. Diese Informationen werden durch Anamnese und Bewertungsskalen wie die Pruritus Severity Scale nach Rybníček et al. erfasst (Abb. 1).
Körperliche Untersuchung: Eine gründliche Untersuchung hilft, Läsionen zu identifizieren, die auf Pruritus hinweisen. Akuter Pruritus zeigt sich durch Exkoriationen, Erytheme, Hot Spots oder selbstinduzierte Alopezie. Chronischer Pruritus äußert sich häufig durch Lichenifikation (Abb. 2), Hyperpigmentierung, traumatische Alopezie oder eosinophilen Granulomkomplex bei Katzen.
Pruritus-Reflexe: Die Bewertung von Reflexreaktionen auf Reize wie Kratzen oder Lecken hilft, betroffene Bereiche zu lokalisieren. Häufige Reflexe sind der Pinna-Pedal-Reflex (Kratzen bei Reizung der Ohrmuscheln), der Otic-Pedal-Reflex (Kratzen bei Manipulation des Ohrs) und der Trunk-Pedal-Reflex (Kratzen bei Berührung des Rumpfes).
Lebensqualitätsbewertungen: Lebensqualitätsskalen bewerten die Auswirkungen des Pruritus auf Tier und Besitzer. Diese Werkzeuge helfen, die täglichen Beeinträchtigungen zu erfassen und bieten Einblicke in die Sorgen der Besitzer und das Wohlbefinden des Tieres. Sie sind auch entscheidend für fundierte Therapieentscheidungen.
Nach der Identifizierung und Bewertung der Pruritus-Schwere ist der nächste Schritt die Bestimmung der zugrunde liegenden Ursache.
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Hund mit starkem Juckreiz und Hot Spot
Bildquelle: Dr. C. Lorente
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Abb. 1: Pruritus Severity Scale
Bildquelle: Rybníček et al.
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Abb. 2: West Highland White Terrier mit chronischem Juckreiz
und stark ausgeprägter Alopezie und Lichenifikation
Bildquelle: Dr. C. Lorente
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Abb. 3: bilateral symmetrische Alopezie bei einer Katze mit
Flohspeichelallergie
Bildquelle: Dr. C. Lorente
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Abb. 4: Hund mit Hautläsionen aufgrund vom AMS
Bildquelle: Peri Lau
Erkrankungen mit pruritozeptivem Juckreiz und deren Diagnosemöglichkeiten
Pruritozeptiver Pruritus ist der häufigste Juckreiztyp bei Hunden und Katzen. Primäre Ursachen sind Ektoparasiten- und allergische Erkrankungen. Eine dritte Gruppe umfasst bakterielle Infektionen oder Malassezia-Infektionen, die häufig sekundär zu anderen Hauterkrankungen auftreten und den Diagnoseprozess erschweren. Zudem kann jede chronische Hauterkrankung mit Läsionen ebenfalls pruritozeptiven Pruritus verursachen.
Sarcoptesräude
- Sarcoptes-Antikörpertest (IgG): Ein ELISA-Test quantifiziert IgG-Antikörper im Serum von Hunden, die etwa vier Wochen nach der Infektion nachweisbar sind. Die Sensitivität beträgt 85 % und steigt nach vier Wochen auf nahezu 99 %, bei einer Spezifität von 90 %.
- Sarcoptes-PCR: Die realtime-PCR weist Milben in umfangreichen oberflächlichen Hautgeschabseln bei Hunden, Katzen, Frettchen, Kaninchen, Meerschweinchen und anderen Canidae– oder Mustelidae-Arten (Reservoir: Fuchs) nach.
Feline Demodikose durch Demodex (D.). gatoi
- D. gatoi-PCR: Die PCR wird als hochspezifischer Test angesehen. Da D. gatoi bei gesunden Katzen nicht vorkommt, ist ein positives Ergebnis diagnostisch. Es wird empfohlen, die D. gatoi-PCR bei allen Katzen mit Pruritus durchzuführen, bevor eine allergische Erkrankung in Betracht gezogen wird.
Flohallergische Dermatitis
- Flohspeichel-Antikörper: Ein positives Ergebnis zeigt eine Überempfindlichkeit gegenüber Flohspeichel an. Klinische Symptome (Abb. 3) in Kombination mit einem positiven Testergebnis bestätigen die Diagnose. Der Test, der als Einzel-IgE-Test (Fce-Rezeptor), im Rahmen eines Allergiescreenings mit Milben, Pollen und Pilzen oder in umfassenden Allergieprofilen von Laboklin angeboten wird, verwendet native und rekombinante Flohspeichelallergene für eine hohe Sensitivität.
Futtermittelallergie
- Die Diagnose einer Futtermittelallergie erfordert eine Eliminationsdiät über zwei Monate zur Kontrolle der klinischen Symptome, gefolgt von einer Provokationsdiät zur Bestätigung. Serologische Tests messen allergenspezifisches IgE und IgG, mit einem negativen Vorhersagewert von 81,1 %. Futtermittel ohne nachgewiesene Antikörper eignen sich für Eliminationsdiäten. Laboklin bietet verschiedene Futtermittelallergen-Panels, einschließlich des PAX Complete Food Panels an.
Atopische Dermatitis
- Atopische Dermatitis wird durch eine detaillierte Anamnese und klinische Untersuchung diagnostiziert. Allergietests identifizieren auslösende Allergene zur Vermeidung der Exposition oder für eine allergenspezifische Immuntherapie (ASIT) bei atopischer Dermatitis, Insektenüberempfindlichkeit oder allergischem Asthma bei Katzen. Laboklin bietet Allergiepanels, Allergieprofile, den PAX Complete Environmental Test und Allergenlösungen für intradermale Tests an.
Pyodermie- und Malassezia-Dermatitis
- Die Zytologie ist der wichtigste Test bei Verdacht auf Pyodermie oder Malassezia-Dermatitis. Laboklin liefert Ergebnisse innerhalb von 24 – 48 Stunden nach Probeneingang.
- Kulturelle Untersuchungen identifizieren Erreger und unterstützen die Auswahl geeigneter Antibiotika. Proben müssen steril entnommen werden, um Kontamination zu vermeiden. Bakterien werden mittels MALDI-TOF-Massenspektrometrie identifiziert, und Antibiogramme bestimmen die Empfindlichkeit gegenüber antimikrobiellen Wirkstoffen, einschließlich der Identifizierung von MRSP.
Epitheliotropes Lymphom
- Epitheliotropes Lymphom kann mit Pruritus sowie Exfoliation, Ulzerationen, Depigmentierung oder Knoten einhergehen. Eine histopathologische Untersuchung ist für die Diagnose unerlässlich.
Erkrankungen mit neuropathischen Pruritus und deren Diagnosemöglichkeiten
Einige neuropathische Pruritus-Erkrankungen sind erblich bedingt wie das Akral-Mutilations-Syndrom (AMS, Abb. 4), das bei mehreren Hunderassen beobachtet wird, und die Sensorische Neuropathie (SN) beim Border Collie. In diesen Fällen ist ein genetischer Test (PCR) entscheidend zur Bestätigung der Diagnose. Laboklin bietet ein umfassendes Panel genetischer Tests an, einschließlich der genannten Erkrankungen.
Diagnose von psychogenem Pruritus
Bei Verdacht auf psychogenen Pruritus ist es entscheidend, zunächst alle dermatologischen oder inneren Erkrankungen auszuschließen, die den Juckreiz verursachen könnten. Sobald diese ausgeschlossen sind, wird eine Überweisung an einen veterinärmedizinischen Verhaltensexperten zur weiteren Beurteilung und Behandlung empfohlen.
Behandlung von Pruritus
Die Behandlung von Pruritus ist vom ersten Moment an unerlässlich, um klinische Symptome zu lindern und den Zustand des Tieres zu verbessern. Bei starkem Juckreiz sollte die Behandlung bereits während der Abklärung der zugrunde liegenden Ursache begonnen werden.
Behandlungsansätze umfassen sowohl reaktive als auch proaktive Strategien:
- Reaktive Behandlung: Kontrolle des Juckreizes während akuter Krankheitsphasen.
- Proaktive Behandlung: Aufrechterhaltung der Kontrolle nach Abklingen der akuten Symptome, um Rückfälle bei Erkrankungen wie der atopischen Dermatitis zu verhindern.
Systemische Behandlungsoptionen
- Glukokortikoide: Diese entzündungshemmenden Medikamente wirken schnell und effektiv, sollten jedoch aufgrund möglicher Nebenwirkungen mit Vorsicht eingesetzt werden. Häufig verwendete Präparate sind orales Prednisolon oder Prednison mit individuell angepasster Dosierung.
- Oclacitinib (Apoquel®): Ein JAK-STAT-Inhibitor, der IL-31 blockiert und schnellen Juckreizabbau bei allergischem Pruritus bietet. Es ist sicherer als Glukokortikoide und besonders wirksam bei atopischer Dermatitis bei Hunden.
- Lokivetmab: Ein monoklonaler Antikörper, der IL-31 neutralisiert und alle vier Wochen subkutan verabreicht wird. Eine sichere und effektive Option für die proaktive Behandlung der atopischen Dermatitis.
- Cyclosporin: Ein Immunsuppressivum, das Calcineurin hemmt und ideal für das Langzeitmanagement allergischer Erkrankungen ist. Es erfordert eine Anfangsdosis gefolgt von einer Erhaltungstherapie und kann bei Schüben mit anderen Behandlungen kombiniert werden.
Fazit
Pruritus, ob akut oder chronisch, erfordert eine effektive Behandlung, um Leiden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Die Identifizierung und Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung ist entscheidend für den langfristigen Erfolg. Die Zusammenarbeit zwischen Allgemeintierärzten und Spezialisten gewährleistet eine optimale Versorgung und bietet betroffenen Tieren sowie ihren Besitzern Erleichterung.
Dr. Carmen Lorente, DVM, PhD, DipECVD
EBVS® European Specialist in Veterinary Dermatology
Leistungen rund um Juckreiz
- Juckreiz Profil klein/mittel/groß
- Allergie Vortest und Haupttests
- PAX complete (Umweltallergene, Futtermittel)
- Flohspeichel-Ak, Sarcoptes-Ak, Malassezia-Ak, Staphylokokken-Ak
- Demodex-PCR, Sarcoptes-PCR