Die Laboklin Expertenrunden gehören nun schon fest zum Programm und sind sehr beliebt. Renommierte Experten geben Antworten auf Fragen rund um spannende und aktuelle Themen. Die wichtigsten Auszüge zur CNE haben wir hier für Sie zusammengestellt.
Teilnehmer der Expertenrunde waren: PD Dr. Roswitha Dorsch aus der LMU München (Forschungsschwerpunkt Urologie und Nephrologie), PD Dr. Petra Kölle (FTA Reptilien und Fische, Oberärztin für Tierernährung an der LMU München, Aufgabengebiet Diätetik), Prof. Dr. Rafael Nickel (Dipl. ECVS, FTA Kleintiere, Cheftierarzt Evidensia Tierklinik Norderstedt und außerordentlicher Professor für Urologie an der FU Berlin) sowie Dr. Ariane Schweighauser (Dipl. ACVIM und ECVIM-CA (Internal Medicine), Fachgebiet Nephrologie und extrakorporale Blutreinigungsverfahren, Vetsuisse Universität Bern, Schweiz).
Den Auftakt macht PD Dr. Dorsch. Sie erklärt, wie die chronische Nierenerkrankung (CNE) definiert wird. Es handelt sich um eine persistierende Reduktion der Nierenfunktion und/oder um eine Veränderung der Nierenstruktur an einer oder beiden Nieren. Um eine chronische Erkrankung handelt es sich per definitionem bei einer Erkrankungsdauer von mehr als 3 Monaten. So lange (und länger) kann die Erholung der Nieren nach einem akuten Insult dauern.
Häufig bleibt die Ursache der CNE unbekannt, manchmal jedoch stößt man bei der Suche nach Gründen auf metabolische und kongenitale Erkrankungen oder auf diätetische Faktoren. Auch Ureterobstruktionen, chronische bakterielle Infektionen und Infektionskrankheiten können identifiziert werden. Interessant ist, dass Katzen mit CNE häufiger Antikörpertiter gegen Leptospiren aufweisen als gesunde Katzen. Eine entsprechende Untersuchung (MAT und Urin-PCR) kann bei Freiläufern, die Mäuse jagen, somit durchaus sinnvoll sein.
Bezüglich der Frage, inwieweit sich aus akuten Insulten später eine CNE entwickelt, ist laut Dr. Schweighauser klar, dass es immer einen gewissen Restschaden gibt. Regelmäßige, lebenslange Untersuchungen der Nierenwerte dienen der Früherkennung zurückgebliebener Schäden, Folgen wie Hypertension und einer Progression der Nierenerkrankung. Dies ermöglicht ein rechtzeitiges Eingreifen und eine Anpassung der Therapie.
PD Dr. Kölle betont, dass zu einer sinnvollen Frühmaßnahme zur Minimierung des Risikos für eine CNE auch die Vermeidung einer übermäßigen Protein- und Phosphatzufuhr gehört. Sie rät dazu, Hunden und Katzen ab einem Alter von 8 Jahren ein Seniorfutter zu füttern. Grundsätzlich sollte ein Proteinüberschuss in der Katzenernährung, der oft durch hochpreisiges, fleischlastiges Futter entsteht, verhindert werden.
Prof. Dr. Nickel weist darauf hin, dass mechanische Abflussbehinderungen in Form von Subobstruktionen langfristig zu einer CNE führen bzw. die Progression verstärken können. Auf die Frage, ob er hierbei die oft im Rahmen einer CNE anzutreffenden Calcium-Oxalat-Steine als Ursache oder Folge ansähe, antwortet er, die Primärerkrankung sei in den Tubuli lokalisiert. Die starke Konzentrationsfähigkeit der Katzenniere begünstigt eine Urolithiasis, die in erster Linie vermutlich eher Folge einer CNE, aber im zweiten Schritt dann auch Auslöser weiterer Schäden ist.
Zur Prognose einer CNE bestätigt Dr. Schweighauser die landläufige Meinung, dass diese beim Hund i. d. R. schlechter sei als bei der Katze. Einen großen Einfluss auf die Prognose habe allerdings auch das IRIS-Stadium, in dem sich der Patient bei Erstdiagnose befindet. Sie ist deutlich besser, wenn die Erkrankung bereits in den Stadien 1 und 2 detektiert wird. Außerdem spielt eine Rolle, ob es sich zum Zeitpunkt der Beurteilung um eine statische oder um eine progressive CNE handelt.
Dr. Dorsch geht nun auf die unterschiedlichen Parameter ein, die bei der Untersuchung der Nierenfunktion wichtig sind. Kreatinin, Harnstoff und SDMA sind erhöht, wenn die Filtrationsleistung der Nieren eingeschränkt ist. Wichtig ist, die Diagnose nicht auf eine einmalige Blutuntersuchung zu stützen, sondern die Persistenz der Nierenwerterhöhung über wiederholte Messungen nachzuweisen. Neuere Untersuchungsparameter sind FGF-23 (Fibroblast Growth Factor 23) und Indoxylsulfat.
Dr. Schweighauser ergänzt: SDMA ist bei abgemagerten Patienten, bei Patienten mit Muskelatrophie und bei kleinen Hunden wie Yorkshireterriern aussagekräftiger als Kreatinin. Allerdings unterliegt es einer hohen biologisch-analytischen Varianz mit tagesabhängigen Schwankungen. Bei alleiniger Erhöhung von SDMA empfiehlt sie die Nachtestung nach 3 Monaten und weist gleichzeitig darauf hin, dass SDMA auch bei anderen Erkrankungen (z.B. Lymphom) sowie bei Jungtieren erhöht sein kann.
FGF-23 ist ein Protein, das u.a. durch eine erhöhte Phosphatkonzentration im Blut aktiviert wird und insbesondere in die Phosphathomöostase involviert ist. Die Reaktion tritt ein, wenn Phosphat im gesamten Körper erhöht ist, auch wenn sich der Phosphatspiegel im Blut noch im Referenzbereich befindet. Damit kommt dem FGF-23 eine große Bedeutung bei der Früherkennung einer entsprechenden Dysregulation zu. Darüber hinaus sind hohe FGF-23-Konzentrationen mit Prognose und auch Progression der CNE korreliert. Für die Therapie bedeutet eine FGF-23-Erhöhung eine zeitnahe Handlungsnotwendigkeit im Sinne einer Reduktion der Phosphatzufuhr. Dr. Kölle und Dr. Dorsch sind sich einig, dass FGF-23 zur Erfolgskontrolle einer Nierendiätfütterung dienen kann.
Ein weiterer „neuer“ Parameter im Labor ist das Indoxylsulfat, ein urämisches Toxin, das aus Indol entsteht. Erhöhte Konzentrationen schädigen die Tubuluszellen der Nieren und begünstigen die Progression der CNE. Indoxylsulfat ist prognostisch relevant.
Bei der Diagnostik aller Nierenerkrankungen darf die Harnuntersuchung nicht fehlen. Dabei wird u.a. mittels Refraktometer das urinspezifische Gewicht ermittelt, welches eine Aussage über die Konzentrationsfähigkeit der Nieren ermöglicht. Ein inadäquat konzentrierter Urin hat bei der Katze ein USG unter 1.035 und beim Hund unter 1.030. Eine Nierenerkrankung sollte in Erwägung gezogen werden, wenn die Werte persistent deutlich darunter liegen, v.a. im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Azotämie. Allerdings, so führt Dr. Schweighauser aus, sollten immer alle Untersuchungsergebnisse kombiniert werden, da das spezifische Gewicht natürlich stark variieren kann je nach Hydratationsgrad bzw. kürzlich erfolgter Wasseraufnahme. Ein hyposthener Urin (USG < 1.008) hingegen passt nicht zu einer Nierenerkrankung.
An dieser Stelle betont Prof. Nickel, dass die Sonographie ein fester Bestandteil der Untersuchung sein müsse, um Abflussstörungen, Hinweise auf Pyelonephritis oder Neoplasien und bei jüngeren Tieren insbesondere Dysplasien und andere angeborene Erkrankungen zu detektieren. Auch kann das sonographische Erscheinungsbild einer chronisch erkrankten Niere einen zusätzlichen Hinweis geben bei Unsicherheiten im Rahmen der Früherkennung (wenn eine Azotämie noch nicht vorliegt) oder in Bezug auf die Unterscheidung einer akuten versus einer chronischen Nierenerkrankung.
Auf die Frage nach dem Stellenwert von Harnsediment-Untersuchungen führt Prof. Nickel aus, dass er insbesondere bei Vorliegen von Nierenmineralisationen oder Urolithen bei der Katze nach Calcium-Oxalat-Kristallen Ausschau hält. Normal sind diese Kristalle gut im Harn erkennbar und erlauben dann einen Rückschluss auf die Art der vorhandenen Steine. Allerdings finden sich bei vielen Katzen mit Calcium-Oxalat-Urolithiasis leider keine Kristalle im Urin. Dr. Schweighauser ergänzt, ein Negativbefund bei der Sediment-Untersuchung sei nicht zuverlässig, weil bei bereits gebildeten Harnblasensteinen die Kristalle eher an den Stein binden als über den Urin ausgeschieden zu werden. Bei Verdacht auf Calcium-Oxalat bestimmt sie gerne die Konzentration des ionisierten Calciums im Blut. Beide betonen, wie wichtig es sei, den Urin frisch zu untersuchen, weil es nach kurzer Stehzeit schnell zu Artefakten kommt.
Dr. Kölle wird gebeten, eine Orientierungshilfe zu den Inhaltsstoffen und deren Angaben auf dem Futtermittel zu geben. Sie bestätigt, dass es häufig schwierig ist, die Angaben zu Protein und Phosphat zu beurteilen, weil in die Rationsberechnung die notwendige Kalorienzufuhr miteinbezogen werden muss. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Veterinärdiäten optimal zusammen gesetzt sind. Ist eine solche Diät seitens des Tierhalters nicht gewünscht oder wird vom Patienten nicht akzeptiert, ist eine freiverkäufliche Nierendiät sicherlich einem herkömmlichen Futter vorzuziehen, auch wenn diese oft nicht den Ansprüchen einer Veterinärdiät genügen. Als Alternative aus der eigenen Küche empfiehlt sie Schweinefleisch als phosphatärmstes Fleisch, gerne fettreich, plus Kohlenhydrate, eine phosphatfreie Vitaminmineralstoffmischung und einen Fettsäurenlieferanten, z.B. Hanföl. Wichtig ist allerdings eine anfängliche professionelle Rationsberechnung, um Fütterungsfehler zu vermeiden.
Im Hinblick auf die Einführung einer Nierendiät weist sie auf Studien hin, die gezeigt haben, dass es 30 Tage dauern kann, bis insbesondere eine Katze sich an ein neues Futter gewöhnt hat. In der Eingewöhnungsphase können Toppings in Form von z.B. ein wenig Thunfisch oder das Erwärmen des Futters helfen, die Akzeptanz zu erhöhen.
Ob auch Trockenfutter gefüttert werden darf? Dr. Kölle antwortet, Katzen trinken von Natur aus wenig und gleichen Verluste nicht adäquat selbständig aus. Wird nur Trockenfutter gefüttert, muss die Wasseraufnahme aktiv gefördert werden. Vorschläge hierfür sind: Trinkbrunnen, Verteilung vieler Wasserschalen in der Wohnung, flache Glasschalen werden oft bevorzugt, Wasserschalen niemals neben der Katzentoilette und auch nicht in der Nähe des Futternapfes, Geschmacksanreicherung des Wassers.
Dr. Schweighauser erklärt auf die Frage, ab wann eine Nierendiät gefüttert werden solle, es sei sinnvoll, bereits früh (spätestens IRIS-Stadium 2) zu beginnen. Zum einen ist eine Futterumstellung leichter, solange die Patienten nicht unter Nausea und Appetitmangel leiden, zum anderen erscheint eine frühe Reduktion von FGF-23 die Progression reduzieren. Die Bestimmung von FGF-23 im Blut kann hier eine Entscheidungshilfe geben, ob bereits eine Phosphatreduktion angezeigt ist und in welchem Umfang. Denn bei zu früher und strikter Phosphatreduktion wurden bei der Katze gegenteilige Effekte und die Entwicklung einer Hypercalcämie festgestellt.
Zum Thema subkutane Infusionen führt Dr. Dorsch aus, dass diese die Lebensqualität von Katzen mit CNE verbessern können. Aber nicht jede Katze mit CNE muss infundiert werden. Solange der Hydratationszustand gut ist, ist diese Behandlung nicht notwendig. Sie sind ab dem IRIS-Stadium 3 und bei Patienten mit Erbrechen, Durchfall oder Appetitverlust sinnvoll. Dr. Dorsch empfiehlt gepufferte Lösungen (Sterofundin oder Ringerlaktat) in einer Dosierung von 75 – 100 ml zwei- bis dreimal wöchentlich. Volumenüberladungen sollten unbedingt vermieden werden.
Auf die Therapie mit Adsorbern wie Porus One® angesprochen, berichtet Dr. Dorsch von einer Studie aus eigenem Haus. Porus One® ist ein auf Kohlenstoff basierender Adsorber für urämische Toxine und fängt unter anderem Indol im Darm, wodurch dessen Aufnahme ins Blut reduziert wird. Dies wiederum führt zu weniger Indoxylsulfat-Synthese in der Leber. In die Studie wurden 19 Katzen mit CNE aufgenommen, 10 Katzen erhielten das Präparat, 9 Katzen dienten als Kontrollgruppe. Nach 6 Monaten waren bei den Katzen der Versuchsgruppe die Indoxylsulfat-Konzentrationen im Blut signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe.
Auf die Frage, wann Phosphatbinder eingesetzt werden sollten, erklärt Dr. Kölle, dies sei nur notwendig, wenn Diätfuttermittel nicht akzeptiert würden und/oder die Phosphatkonzentration oder die des FGF-23 im Blut dadurch nicht ausreichend gesenkt werden können. Sie weist auf die Gefahr eines Phosphatmangels hin, wenn unkontrollierte Gaben erfolgen.
ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker (ARB) sind in erster Linie zur Reduktion der Proteinurie anzuraten, so Dr. Schweighauser. Weiterhin sind ARB bei der CNE-Katze zur Kontrolle der Hypertension nutzbar. Es gibt Hinweise, dass auch außerhalb dieser beiden Indikationen Vorteile durch die Reduktion der Auswirkungen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) entstehen.
Die Senkung des intraglomerulären Druckes kann einer Fibrosierung der Glomerula entgegenwirken. Kontraindiziert ist der Einsatz von ACEIs und ARBs allerdings bei instabilen und dehydrierten Patienten sowie solchen mit fortgeschrittener CNE. Ab einem IRIS-Stadium Ende 3 dürfen diese Präparate nicht mehr bedenkenlos eingesetzt werden!
Die nächste Frage geht an Prof. Nickel: Was tun bei Urolithen im Ureter und wann? Die Früherkennung ist nicht leicht. Zu Beginn der Obstruktion kann es zu kolikartigen Schmerzen kommen, die nicht unbedingt zugeordnet werden. Symptome einer Ureterobstruktion sind oft unspezifisch und werden in vielen Fällen erst spät erkannt. Es ist nicht selten, dass es dann bereits zu einer deutlichen Dilatation des Nierenbeckens und einer nachhaltigen Schädigung der Niere gekommen ist. Deutlich besser ist die Prognose bei einer frühen Erkennung.
Therapeutisch kann es möglich sein, kleine Konkremente mit Hilfe einer induzierten Diurese und dem Einsatz eines Alpha-Sympatholytikums (z. B. Alfuzosin) auszuspülen, und die Obstruktion so zu lösen. Chirurgische Ansätze zur Steinentfernung sind möglich, es besteht jedoch das Risiko einer Narbenstrukturbildung. Befindet sich das Konkrement im unteren Drittel, kann es durch Kürzung und Neuimplantation des Ureters entfernt werden. Alternativ bleibt der Einsatz eines subkutan verlegten Bypasses.
Dr. Schweighauser sieht in der Dialyse keine realistische Dauertherapie für Patienten mit CNE. Sie ist eine gute Option für Patienten mit akutem Nierenversagen und kann bei chronischer Erkrankung genutzt werden, um akute Episoden zu überbrücken, mit dem Ziel, einen stabilen Zustand wiederzuerlangen. Allerdings betont sie, dass die Blutwerte trotz intensiver Therapie nach der akuten Phase in der Regel schlechter sein werden als vorher, da ein erneuter Insult die Nieren weiter geschädigt hat.
Die letzte Frage gilt dem Thema Zahngesundheit und CNE. Dr. Schweighauser hält die regelmäßige Zahnsanierung aufgrund des Einflusses chronisch entzündlicher Prozesse und bakterieller Infektionen auf die Nierengesundheit für unerlässlich, auch wenn diese mit einer Narkose verbunden ist. Dabei empfiehlt sie eine stationäre Unterbringung mit intravenöser Infusion 24 Stunden vor und nach dem Eingriff. Sie weist auf die Notwendigkeit eines guten, intraoperativen Monitorings inklusive Blutdruckmessung, die Reduktion von Narkotika durch Einsatz von Regionalanästhesien sowie die Vermeidung von Medikamenten wie NSAIDs in Zusammenhang mit der Narkose hin. Wichtig sind Nierenwertkontrollen vor und nach der Narkose sowie zusätzlich einige Tage nach dem Eingriff.
Dr. Jennifer von Luckner